Hill, Susan
Thriller von Dick Francis.
»Komm schon, komm schon«, murmelte Freya, »rück’s raus.«
Bedeutsam schien das zu sein, was nicht da war, denn es gab überhaupt nichts Persönliches – keine Fotos, Briefe, Urlaubspostkarten von Freunden. Die Handtasche, die die Streifenpolizisten auf einem Küchenstuhl gefunden hatten, enthielt nichts außer einem Geldbeutel mit etwas Kleingeld, einer Brieftasche mit zwei Kreditkarten und zwanzig Pfund, einer Brille, Aspirin, Papiertaschentüchern und einem frankierten Briefumschlag, in dem ein auf eine Versandfirma ausgestellter Scheck lag. Im Adressbuch neben dem Telefon waren ein Installateur, Elektriker, Arzt, Zahnarzt, ein Friseur, ein Akupunkteur, das Four-Ways-Pflegeheim mit Carol Ashtons separat notierter Adresse und »C. Gabb – Gärtner« aufgeführt. Angela Randall hatte offenbar keine Angehörigen, Freunde oder Patenkinder. Wie konnte jemand ein so ödes Leben führen?
Freya ging nach oben.
Im Badezimmer standen einfache Kosmetika von Boots. Freya hob das zweckmäßige Shampoo hoch, die fast geruchlose weiße Seife. Hier wurde niemand verwöhnt. Das Gästezimmer wurde eindeutig nie benutzt; das Bett war abgezogen, und im Schrank lagen ein paar Decken und Kissen, außerdem zwei leere Koffer. Also war Angela Randall nicht in Urlaub gefahren. Das Zimmer war bitterkalt. Im ganzen Haus war es kalt.
Die Kleidungsstücke, die im Schlafzimmerschrank hingen, waren genauso unpersönlich wie alles andere – beigefarbener Mantel, brauner Rock, dunkelblauer Pullover, schwarzes Kostüm, Baumwollkleid mit Blumenmuster, weiße und zitronengelbe, blaue und graue Baumwollblusen. Aber es gab auch zwei hochwertige Trainingsanzüge und ein Paar brandneue Laufschuhe, noch im Karton, teuer.
Bisher war DS Graffhams Phantombild von Angela Randall leer gewesen wie ein Puzzle, zu dem ihr alle Stücke fehlten. Jetzt waren zwei aufgetaucht, die ersten, die eingepasst werden mussten. Eine allein stehende Frau in den Fünfzigern von durchschnittlicher Größe, die neutrale Farben und Kleidungsstücke trug, ohne damit je Aufmerksamkeit zu erregen, war zu einer ernsthaften Läuferin geworden, die hundertfünfzig Pfund für ein Paar Schuhe ausgab. Freya überlegte, wie der DI wohl reagieren würde, wenn sie ihm das als einziges Informationsstück vorlegte.
Gerade wollte sie die Schranktür schließen und nach unten zu DC Coates gehen, als ihr etwas ins Auge fiel, ein schwaches Glitzern ganz hinten im Schrank. Sie streckte die Hand danach aus.
Eine kleine Schachtel, eingewickelt in Goldpapier, mit einer kunstvoll geknoteten Goldschleife. Daran befestigt ein kleiner goldener Umschlag. Freya öffnete ihn.
Für Dich, mit all meiner hingebungsvollen Liebe, von Mir.
Freya wog das kleine Päckchen in der Hand. Es war nicht schwer, roch nicht und klapperte nicht.
War Angela Randall das »Dich« oder das »Mir«?
Sie ging nach unten und trat aus der Haustür, als der DC den Weg hinaufkam.
»Irgendwas erreicht?«
»Nicht viel. Nachbarn, die daheim waren, sagten, sie sei immer freundlich gewesen, zurückhaltend, habe keinen Besuch bekommen … Nur die Frau an der Ecke, Mrs Savage, sagt, dass Angela Randall vor etwa sechs Monaten mit dem Laufen angefangen hat.«
»Ja, ich hab Trainingsanzüge und ein Paar brandneue, sehr teure Joggingschuhe im Schrank gefunden … die richtige Ausrüstung.«
»Sie ist jeden Morgen zur selben Zeit aus dem Haus gegangen, egal, bei welchem Wetter oder ob sie gerade von der Nachtwache heimgekommen oder erst aufgestanden war.«
»Wohin ist sie gelaufen?«
»Für gewöhnlich auf den Hügel, außer es war sehr nass, dann ist sie die Straße runtergelaufen.«
»Und wann hat Mrs Savage sie zum letzten Mal gesehen?«
»Sie ist sich ziemlich sicher, dass es an dem Morgen war, nachdem Randall, laut Mrs Ashton, zum letzten Mal gearbeitet hat … Seit dem Tag hat Mrs Savage sie nicht mehr gesehen, auch kein Anzeichen dafür, dass jemand im Haus war. Sie dachte, sie sei weggefahren.«
»Hat sie sie an dem Morgen vom Laufen zurückkommen sehen?«
»Kann sich nicht erinnern, sagt aber, sie hätte es nicht immer beobachtet … Mrs Savage verlässt an drei Tagen der Woche früh das Haus, um mit dem Bus zu ihrer Tochter zu fahren oder auf den Donnerstagsmarkt zu gehen. Also könnte Randall zurückgekommen sein, ohne bemerkt zu werden.«
»Oder nicht. Sonst noch was?«
»Nee.«
»Na gut, dann fahren wir zurück. Ich muss ein Geschenk auspacken.«
Eine Stunde
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