Hill, Susan
habe ich behalten. Ich kannte mal jemanden, der genau so eine Uhr hatte, als ich Kind war. Ein Verwandter, den ich oft besuchte und den ich mochte. Seitdem habe ich so eine Uhr nie mehr gesehen.«
Jetzt hatte sich seine Stimme wieder verändert, war gleichgültig geworden, als wolle er sie einlullen, als sei es eine Plauderei unter Freunden.
»Das ist typisch für sie, wissen Sie, dass sie diejenige war, die Sie alarmiert hat. Typisch für sie, dafür die Schuld zu haben. Keiner von den anderen hätte das getan.« Er schwieg einen Moment lang, hatte das eine Bein über das andere geschlagen, die Hand hinter dem Kopf, und starrte und starrte immer noch. Freya rechnete sich aus, wie viele Schritte sie machen musste, um die Küche und die Außentür zu erreichen, wie leicht oder schwer es sein würde, bis zum Ende des Gangs zu kommen.
»Ich mag meine Arbeit, wissen Sie, finde sie befriedigend. Und ich bin gut. Eine Menge Menschen haben Grund, mir dankbar zu sein. Das haben Sie bestimmt auch von unserer Freundin Dr. Deerborn gehört. Ich habe vieles dafür geopfert. Ich wohnte in einem Zimmer von der Größe meines jetzigen Badezimmers und habe jahrelang alles Geld zusammenkratzen müssen, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt bin. Aber es konnte niemals reichen. Ich glaube nicht, dass ich jemals geglaubt habe, dass es reichen würde, wenn man bedenkt, wie nahe ich daran war, Arzt zu werden. Ich bin ungerecht behandelt worden, schikaniert und betrogen. Ich hatte alles genau geplant, und sie haben es zerstört. Und ich habe entdeckt, dass ich sie nicht brauche. Seit Jahren geht der Witz auf ihre Kosten. Das Studium des menschlichen Körpers, der genaue, detaillierte Vergleich zwischen dem einen und dem anderen. Die Stadien von Leben und Tod. Ich weiß inzwischen mehr darüber als sonst jemand auf der Welt, weil ich den Luxus der Zeit hatte und in der Lage war, meine eigenen Forschungsräume einzurichten.«
Wieder schwieg er, diesmal mehrere Minuten lang, schaute völlig reglos zu ihr hinüber.
Die Angst, die Freya empfand, war anders als alles, was sie bisher gekannt hatte. Sie hatte sich mit wütenden und gewalttätigen Männern auseinander setzen müssen, mit bewaffneten Männern, mit geistesgestörten und gefährlichen, in schwierigen Situationen, und Furcht, selbst entsetzliche Angst waren die unvermeidliche Reaktion; aber es war nie so überwältigend gewesen, immer hatte es eine Ecke ihrer selbst gegeben, in der sie sich nicht fürchtete, sondern von dem Vertrauen in ihre Fähigkeiten und Entschlossenheit erfüllt war, während das Adrenalin durch ihren Körper rauschte, ihr Denken beschleunigte und ihr half, mit der Situation fertig zu werden. Jetzt konnte sie diese Ecke der Ruhe und des Selbstvertrauens nicht finden. Aidan Sharpe war verrückt auf die allergefährlichste Weise, beherrscht, ruhig, rational. Seine Gewalttätigkeit war keine hitzige, explosionsartige Reaktion darauf, plötzlich in Gefahr zu sein. So eine Bedrohung war alarmierend, aber man konnte leichter damit umgehen. Das hier war ein lächelnder Psychopath, der sich etwas vormachte und die ganze Kraft und Gerissenheit eines Menschen hatte, der sich für allmächtig und unberührbar hält. Konfrontiert mit ihm und der kleinen, mit einer vermutlich tödlichen Flüssigkeit gefüllten Spritze, während sie in ihrem eigenen Sessel saß, spätnachts in diesem stillen Haus ohne Möglichkeit, Hilfe zu holen, und seiner monotonen, selbstgefälligen Stimme lauschte, begriff Freya die Lähmung jeder gejagten und verfolgten Kreatur.
»Würden Sie nicht gerne noch mehr hören? Ich habe Ihre Neugier geweckt, nicht wahr?«
»Wenn Sie das Bedürfnis haben, bitte, erzählen Sie weiter.«
Aidan Sharpe lachte, ein Lachen, das fast neutral klang. »Oh, meine liebe Freya, wie charmant! Da kommt der gut ausgebildete Detective Sergeant zum Vorschein, der seinen praktischen Psychologielehrgang bestanden hat … ›Lassen Sie ihm seinen Willen, hören Sie geduldig zu. Er wird das Bedürfnis haben, alles zu gestehen, also lassen Sie ihn. Das wird ihn einlullen, in seiner Wachsamkeit nachzulassen.‹ Ich habe kein Bedürfnis zu gestehen, das versichere ich Ihnen. Ich genieße meine Arbeit und werde das noch viele Jahre lang tun. Geständnisse stehen nicht auf der Tagesordnung. Ich kenne mich, verstehen Sie. Ich kenne meine eigene Psychologie sehr viel besser als jeder andere. Eine junge Australierin galt noch vor kurzem als seit fünf Jahren vermisst, haben Sie
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