Hill, Susan
fragte sie sich, ob sie je wieder in der Lage sein würde, das alles aufzugeben, jemals ihren Freiraum, ihre Mußestunden, ihre tägliche Routine mit jemandem würde teilen wollen, auch wenn sie ihn noch so liebte. Würde Simon, ebenso gemütlich untergebracht in seiner Wohnung am Kathedralenhof, wie sie es hier war, jemals diese Unabhängigkeit aufgeben wollen?
Im Moment hatte Freya alles, was sie wollte, in ihren friedvollen Räumen, erfüllt mit der glücklichen Befriedigung der Musik, an der sie mitgewirkt hatte, im Kopf immer noch die Stimmen und Instrumente um sie herum. Leise summend ging sie in die Küche.
Zuerst war sie sich nicht sicher, ob an der Haustür ein Geräusch gewesen war oder nicht. Lauschend blieb sie stehen. Da war es wieder, ein leises Klopfen.
Es war zwanzig vor zwölf, und in den Nachbarhäusern brannte kein Licht mehr. Dann fiel ihr Simons Telefonnachricht ein. Sie fuhr sich mit einem Kamm aus ihrer Handtasche durch das kurze Haar und ging dann rasch mit klopfendem Herzen zur Tür, um sie zu öffnen.
Bevor sie Zeit hatte, das Geschehen zu begreifen, war Aidan Sharpe eingetreten und hatte in einer einzigen Bewegung die Tür zugemacht und abgeschlossen. Den Schlüssel steckte er in die Tasche.
»Ich muss mit Ihnen reden«, sagte er.
Instinktiv wandte sich Freya zum Wohnzimmer um und ging rasch hinüber zum Tisch, auf dem sie ihr Handy abgelegt hatte. Normalerweise befand es sich in ihrer Handtasche oder Jackentasche, aber wegen des Konzerts hatte sie es zu Hause gelassen.
»Wir wollen doch nicht gestört werden.« Er war an ihrem Ellbogen, und seine behandschuhte Hand tauchte vor ihr auf und griff nach dem Handy.
»Geben Sie es mir bitte wieder.«
»Setzen Sie sich, Miss Graffham. Sie sind jetzt nicht im Polizeirevier von Lafferton und auch nicht Dienst habende Beamtin.«
»Geben …«
Aus der linken Jackentasche zog er eine Spritze. Freya sah, dass sie mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Sie schluckte, ihr Mund war plötzlich wie ausgetrocknet.
»Ich sagte, setzen Sie sich.«
Seine Stimme war sehr leise und hatte etwas manisch Ruhiges und scheinbar Vernünftiges, wie sie es schon bei anderen gefährlichen Menschen erlebt hatte. Sie wusste nur zu gut, dass sie ihm zunächst einmal seinen Willen lassen und ihm gehorchen musste. Aidan Sharpe wandte den Blick nicht von ihr ab, als er durch das Zimmer ging, das Deckenlicht ausschaltete und nur die beiden Stehlampen anließ. Dann setzte er sich ihr gegenüber in den Sessel und lehnte sich zurück, ein schwaches Lächeln um die Lippen. Seine Augen starrten. Freya dachte fieberhaft nach, wie sie mit ihm umgehen, mit ihm sprechen, seine Stimmung beeinflussen und wie sie entkommen konnte. Die eine Tür führte vom Zimmer in den Flur hinaus, die andere in die Küche, von dort ging eine weitere zu einem Gang, der zwischen ihrem und dem Nachbarhaus entlangführte. Am Ende des Ganges befand sich eine von innen verriegelte Holztür.
»Ich muss mit Ihnen reden«, wiederholte Aidan Sharpe.
»Über Angela Randall? Oder Debbie … vielleicht über beide?«
»Halten Sie den Mund.«
Er war ein völlig anderer Mann als der, der ihr im Embassy Room gegenübergesessen hatte, anders und doch erkennbar derselbe, wie so viele Psychopathen, mit denen sie zu tun gehabt hatte. Sie hätte die Anzeichen erkennen müssen und merkte nun, dass ihr Unterbewusstsein es auch getan hatte.
»Angela Randall war eine dumme Kuh. Eine sehr ermüdende dumme Kuh.«
»Sie sagen ›war‹ …, heißt das …«
»Ich hab gesagt, Sie sollen den Mund halten.«
Sie musste rational und ruhig bleiben, keinen Angstgeruch verströmen, nicht mit dem kleinsten Blinzeln verraten, was sie vorhatte.
»Ich verabscheue Frauen, aber diese dämliche Kuh habe ich am meisten verabscheut. Sie hatte keinen Stolz, verstehen Sie, hat sich mir wie eine läufige Hündin zu Füßen geworfen, hat mir Botschaften in abscheulicher Sprache geschickt, katzbuckelnd und klammernd und unterwürfig. Wo war da ihr Stolz? Sie hat mir Karten geschickt, sie hat mir Geschenke geschickt. Das hier …« Er schob die Manschette hoch und zeigte ihr die Uhr. »Ja, natürlich, und noch so viele andere Sachen. Sie hat ihr Geld verschwendet, hat sich vermutlich in Schulden gestürzt, und dann immer diese pathetischen Kärtchen. Sie hat sich entwürdigt. Ich habe sie verachtet. Die meisten Sachen habe ich verkauft. Ich wollte sie nicht in meiner Nähe haben, mich nicht davon vergiften lassen, aber die Uhr
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