Hill, Susan
auf einem Stück Papier in einer Schublade.
In dem Moment, als sie gehört hatte, was passiert war, hatte Karin im Geist die Tür geschlossen, die zu dem Raum führte, wo sie auf der Behandlungsliege gelegen hatte, während sich Aidan Sharpe über sie beugte, hatte die Tür zugemacht, verriegelt, verschlossen. Sie würde sich ihr nie wieder nähern. Sie hatte über alles mit Cat Deerborn gesprochen, hatte es ihrer Heilerin erzählt und dann für sich die Entscheidung getroffen. Sie konnte das Geschehene nicht annähernd begreifen, ganz zu schweigen davon, es zu beurteilen. Besser, man ließ es einfach in Ruhe.
Sandy Marsh glaubte, sie müsse hinausgehen, als der Choral gesungen wurde, derselbe, den sie für Debbie gesungen hatten. Sie saß ganz hinten in der Kathedrale. Jason war mitgekommen, obwohl sie das nicht gewollt hatte, aber jetzt, mitten in alldem hier, wo die Erinnerungen sie wieder überfluteten, war sie froh, ihn bei sich zu haben, dankbar für seine beruhigende Gegenwart und den unerschöpflichen Vorrat sauberer Taschentücher.
Ihr Leben war von dem Abend an, als Debbie nicht nach Hause gekommen war, auf den Kopf gestellt worden, und es würde nie wieder richtig zusammengesetzt werden, nie wieder so sein, wie es gewesen war. Sie hatte nicht nur ihre älteste Freundin und Mitbewohnerin an einen Mörder verloren, sondern auch etwas anderes, das sie nicht definieren konnte, etwas Sorgloses und Optimistisches, etwas, das stets da war, seit Debbie und sie Kinder gewesen waren. Das war für immer fort.
Sie würde aus der Wohnung ausziehen, hatte sie beschlossen, sobald sie gehört hatte, was mit Debbie passiert war, wollte aber weder Lafferton noch ihren Job aufgeben, sie brauchte Freunde und all das Vertraute um sich herum, obwohl es an manchen Tagen schwer zu ertragen war, wenn sie den Hügel oder einen Bus nach Starly sah oder an ganz gewöhnliche Orte kam, die Debbie und sie zusammen aufgesucht hatten, Läden, das Café, die Stadtbücherei.
Im Moment wohnte sie bei einer Kollegin, deren Mann in der Navy war und oft lange fort. Sie wollte sich eine eigene Wohnung suchen, aber jemanden zu finden, der sie mit ihr teilen würde, war nicht leicht, und allein konnte sie sich die Miete nicht leisten. Debbie und sie waren gut miteinander ausgekommen, hatten einander so gut gekannt, dass das Leben reibungslos abgelaufen war, selbst in Debbies trübsinnigen Phasen.
Sie erhoben sich für den letzten Choral. Jason berührte sie am Arm. Liebenswürdiger Jason, guter, netter, freundlicher Jason. Aber sie wusste, Jason wollte mehr, und sie musste ihm sagen, dass sie das nicht wollte. Sie mochte ihn und war ihm dankbar. Im Büro konnte man viel Spaß mit ihm haben. Das war alles. Selbst wenn sie für eine ernsthafte Beziehung bereit wäre, dann sicherlich nicht mit Jason.
Mitten wir im Leben sind
Mit dem Tod umfangen.
Wen suchen wir, der Hilfe tu,
Dass wir Gnad erlangen?
Das bist du, Herr, alleine.
Simon Serrailler stand am Lesepult. Er hatte seine Notizen vor sich liegen, in die er nicht ein einziges Mal schaute.
»Wir sind hier, um uns von Freya Graffham zu verabschieden, Tochter und Schwester und Tante, Kollegin und Freundin, und sie zu ehren, und ich weiß, dass dies eines der schwersten Dinge ist, die man auf sich nehmen kann. Freya war erst seit kurzer Zeit bei uns in Lafferton, aber wenige Menschen haben je so klare und eindrucksvolle Zeichen gesetzt und so rasch unsere Zuneigung gewonnen.«
Cats Blick ließ das Gesicht ihres Bruders nicht los. Er war ein guter Redner, nicht großspurig, sondern klar, eindrucksvoll und absolut aufrichtig. Er ließ Freya wieder lebendig werden, fing etwas von ihrer lebensprühenden Art und ihrem Sinn für Humor ein, ihrer Intelligenz, ihrer Liebe für ihren Beruf, ihrem neuen Haus, ihren Kollegen, ihrer Freunde, dem Singen – und dieser Kathedrale. Er sprach bewegend über ihren Tod und bitter über die Begleitumstände, bedauerte die Verschwendung, lobte die Tapferkeit seiner Kollegen, erinnerte sie an die Risiken, denen sich Polizeibeamte täglich aussetzten, bat sie um ihre Unterstützung und Gebete für die Lebenden, selbst während sie eine Frau ehrten, die tot war. Es war eine leidenschaftliche Rede, die die Gemeinde überwältigte und erneut zu Tränen rührte.
Dann das Abschlussgebet und der Segen. Plötzlich wanderten Cats Gedanken zu Aidan Sharpe; er stand ihr lebhaft vor Augen, selbstgefällig, reuelos, lächelnd. Es kam ihr vor, als schaute sie dem
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