Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hill, Susan

Hill, Susan

Titel: Hill, Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Menschen dunkles Sehnen: Kriminalroman (German Edition)
Vom Netzwerk:
was du dort siehst. Deine Mutter würde mir nie vergeben. Also versprich es. Nie auch nur ein einziges Wort.«
»Nie auch nur ein einziges Wort.«
»Zu keiner lebenden Seele.«
»Zu keiner lebenden Seele.«
Ich erinnere mich, dass ich »Amen« hinzufügte.
Meine Tante ging aus dem Zimmer, und ich lag auf dem Rücken, dachte, ich würde niemals einschlafen, weil ich unbedingt zu dem Gefängnis wollte, wo er gehängt wurde. Und ich wollte auch nicht schlafen. »Zu keiner lebenden Seele«, versprach ich.
Ich habe mein Versprechen gehalten. Aber jetzt macht es ja nichts mehr, nicht wahr? Ich kann es dir endlich erzählen, und das Versprechen ist trotzdem nicht gebrochen.

Es war stockfinster, als mich Tante Elsie noch vor sechs am nächsten Morgen weckte. Sie brachte mir eine Tasse heißen, süßen Tee, noch bevor ich einen Fuß aus dem Bett setzte, und danach bekam ich ein Spiegelei in einem dicken Sandwich aus geröstetem Brot.
Wenn ich die Augen schließe, kann ich noch die Luft riechen, den Rauch aus all den Schornsteinen dick in meinem Mund, vermischt mit der scharfen Kälte. Immer noch spüre ich Tante Elsies Hand in meiner und die Härte ihrer Ringe, die sich in ihre weichen, fleischigen Finger eingegraben hatten.
Wir gingen die Pomfrey Street hinunter und dann die Belmont Road, zur Straßenbahnhaltestelle, und jetzt waren die Straßen voll mit Frauen auf dem Weg zu den Fabriken, Arm in Arm, drei oder vier nebeneinander, alle mit Kopftüchern, und die Männer mit Kappen, die vielen Fahrräder. Der Rauch ihrer Zigaretten vermischte sich mit dem aus den Schornsteinen. Die Straßenbahn war voll und roch nach Körperausdünstungen. Ich war zwischen großen Frauen eingequetscht, ihre rauen Wollmäntel drückten sich gegen meine Wange. Wir stiegen um, und als wir in die nächste Straßenbahn kamen, spürte ich es sofort, irgendetwas war anders, die Menschen waren jetzt still und schwiegen, und ich dachte, wie groß ihre Augen aussahen. Wir wollten alle zum Gefängnis. Ich wurde gegen weitere Frauen gedrückt und angestarrt.
»Merkwürdiger Ort, um ein Kind mitzubringen«, sagte jemand.
»Wieso nicht? Sie müssen lernen, dass es Böses auf der Welt gibt.«
Die Menschen in der Straßenbahn begannen sich zu streiten, aber meine Tante quetschte meine Hand wie einen Knochen im Fleischwolf und sagte überhaupt nichts. Mir war übel, oder ich hatte vielleicht Angst. Ich wusste nicht, was passieren würde.
Die Straßenbahn hielt und leerte sich. Ich warf einen Blick zurück, und sie kam mir wie ein verschwommen beleuchtetes Raupenfahrzeug vor. Was mir am meisten bewusst war, woran ich mich am lebhaftesten erinnere, waren die Geräusche … die Schritte der Menschen, die entlang der dunklen Straße auf den großen dunklen Klotz mit den hohen Mauern und Türmchen wie die eines Schlosses zugingen.
»Das Gefängnis«, sagte Tante Elsie mit leiser, erstickter Stimme.
Schritte – eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Der Himmel hinter dem Gefängnis wurde grau, als die Morgendämmerung heraufzog. Die rauchige Luft war feucht, obwohl es nicht regnete.
Eins-zwei. Eins-zwei. Eins-zwei.
Niemand sprach.
Wir schlossen uns der Menge an, die bereits dort stand, zehn Reihen tief, vor dem hohen Eisentor.
»Da ist die Uhr. Daran werden wir es erkennen.«
Ich schaute hoch, verstand Tante Elsie zwar nicht, konnte aber sowieso nur die Rücken der Menschen sehen, dunkle Mäntel, Schals, Filzhüte.
»Komm, ich heb dich hoch, sonst siehst du ja nichts.«
Und ich wurde auf die kräftigen Schultern eines Fremden gehoben. Der raue Stoff seines Jacketts kratzte an meinen Beinen, aber ich konnte jetzt über die Köpfe hinwegsehen, als sich das trübe Licht allmählich aufhellte, konnte das Eisentor und den Turm und die beinweiße Uhr mit den schwarzen Zeigern sehen. Gerade ruckte der Minutenzeiger einen Strich mehr zu der Acht hin, und hinter mir und um mich herum war sanftes Murmeln zu hören, wie das Meer, breitete sich aus und verstummte wieder.
Ich hatte Angst. Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, was passieren würde, war mir aber sicher, dass man Arthur Needham auf den Gefängnisturm bringen und hier vor uns allen aufhängen würde. Es schien mir unmöglich, dass die ganze Menschenmenge zum Zuschauen in das Gefängnis gehen würde, so wie ich durch das Sehrohr in den Guckkasten auf dem Pier geschaut hatte. Ich wusste nicht, ob ich das Hängen sehen wollte oder nicht. Mir ging es um die Todeszelle. Die wollte ich sehen, wollte mit Arthur Needham

Weitere Kostenlose Bücher