Himbeersommer (German Edition)
Klasse, hat einen extravaganten Kleidungsstil und führt ein ausgefülltes, spannendes Leben (und das in dem Alter!). Vermutlich hat sie dadurch wenig bis gar keine Zeit für ihren Enkel oder ihre entzückende Enkelin. Und vielleicht ist das dann auch wieder mein Glück. Denn Hilde kann sehr, sehr anstrengend sein.
Wir finden ein einsames Plätzchen direkt am See. Wildschweinspuren bestätigen das.
Daniel hat eine Decke dabei. Ich schätze, es ist ein afrikanischer Webstoff, in Braun, Lila, Orange gehalten. Wie wohl seine Wohnung eingerichtet ist?
„Wohnst du eigentlich alleine oder in einer WG?“, höre ich mich fragen, ohne vorher über die Wirkung meiner Worte nachgedacht zu haben.
„Wieso willst du das wissen?“, amüsiert er sich.
„Nicht, weil ich bei dir einziehen will.“
„Schade.“
„Und?“
„Alleine. Über meinem Bistro. Es ist eine Wohnung für zwei.“
Er sieht mich an, als wollte er mir gleich einen Heiratsantrag machen. Nein, Nora, das bildest du dir jetzt wirklich ein! Männer denken nicht in weißen Rüschen.
„Ich bin da mit meiner damaligen Freundin eingezogen. Aber, sie war nicht die Richtige.“
„Scheint so“, quetsche ich aus mir heraus und werde nervös.
Er merkt das, nimmt wieder meine Hand, hält sie ganz fest.
„Es entscheidet sich in den ersten Sekunden. Das war schon immer so.“ Daniel sieht mich ernst an.
Wie kann ein so junger Mann nur so romantisch sein. Ist er vielleicht ein verwunschener Prinz?
Ich sehe einen Frosch am Ufer und entziehe Daniel meine Hand. Sie fängt an zu zittern.
Frauen sind so einfach zu betören. Diese große Liebe-, das-Schicksal-hat-uns-zusammengeführt-Nummer zieht einfach immer. Zumindest bei so romantisch veranlagten Frauen wie mir, die an die große Liebe glauben und bisher gedacht haben, sie zu erleben.
Wie traurig, am Ende eines Lebens resümieren zu müssen, dass man sie nie getroffen hat, die Liebe seines Lebens. Vielleicht, weil man es nie gewagt hat, auf sein Herz zu hören? Weil man nie sein altes, gemütliches Leben über Bord geworfen hat, um etwas zu riskieren? Ich war mir bisher so sicher, dass es Tobias ist. Mein Mr Right. Und was, wenn er es ist und ich ihn fort werfe wie einen – Frosch!?
Ich darf nichts kaputt machen. So wie meine Mutter ihre Männer immer kaputt gemacht hat.
Daniel hat sich mit einem Grashalm zwischen den Zähnen auf den Rücken gelegt und betrachtet den Himmel.
Ich lege mich neben ihn und sehe, was er sieht. Eine große, weiche Wolke zieht über uns hinweg. Sie sieht aus, als könnte man sich darin verlieren.
In meinem Alter legt man sich nicht mehr wöchentlich auf eine Decke und betrachtet den Himmel. Das sollte man aber unbedingt tun!
Wenn man von den roten Ameisen, die gerade meinen Fuß als Straße entdeckt haben, und der Panik, auf dem kühlen Boden eine Blasenentzündung zu bekommen, absieht, hat es etwas Beruhigendes, sehr Erdendes. Erde und Ameisen ersetzen so manche Therapie.
Das Wasser glitzert, eine Entenmama schwimmt mit ihren Jungen vorbei. Wir lächeln uns an.
Daniel springt auf, zieht sich aus und rennt in den See. Ich fühle mich schlagartig in einen Super-8-Film meiner Eltern versetzt, bin nicht mehr in meinem Körper. Ich ziehe mich auch aus, denke nicht an meinen unperfekten Hintern oder meine der Schwerkraft folgenden Brüste, fühle mich frei wie selten zuvor und renne ihm nach.
Das Wasser ist kalt, aber es stört mich nicht. Daniel taucht plötzlich ab, und nur ein paar Blasen lassen ahnen, wo er sich befand. Plötzlich packt ein Wassermonster meine Beine und zieht mich zu sich hinab in die Tiefe.
Da unten ist es still, unendlich still. Wir nehmen uns fest in den Arm, ich spüre seine nackte Haut.
Ich mache mich los und schwimme ans rettende Ufer zurück. Doch es ist keine Rettung in Sicht!
Daniel kommt dazu, wickelt mich zart in die Decke, legt seinen Arm um mich und ist beruhigend warm.
Ich spüre seinen Atem und schließe die Augen.
Meine Welt steht still.
Daniel ist ein einfühlsamer Liebhaber. Seine Hände berühren mich so, wie mein Körper seit Jahren wieder berührt werden will. Zärtlich und fordernd, lustvoll und schmeichelnd. Ich habe das Gefühl, die Hauptrolle in Titanic zu spielen.
Ich habe vergessen, wie es ist, begehrt zu werden. Eines der größten Probleme in langjährigen Beziehungen. Dass Männer ihren Frauen dieses Gefühl nicht mehr geben. Dieses Gefühl, das wir so dringend brauchen. Denn sonst können wir uns nicht fallen lassen, denken die ganze
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