Himbeersommer (German Edition)
halben Stunde bei Pepe, wo bleibst du?“, herrscht sie mich an.
Jacky, unser Mittwochs-Lunch-Date, wie konnte ich das vergessen. Seit zehn Jahren treffen wir uns jeden Mittwoch bei Pepe. Und da kann meine Baustelle einstürzen oder mein Eisladen zumachen - bisher habe ich es immer pünktlich geschafft.
Für Jacky, die seit Gregor kaum noch Freundinnen hat, ist dieses Treffen enorm wichtig. Was bin ich nur für eine egoistische Fast-Milchkuh!
„Oh Gott, ich bin unterwegs, aber gleich bei dir.“ Ich versuche die Erklärung und ihre Schimpftirade noch ein wenig hinauszuzögern.
Als sich Daniel umdreht, bin ich weg.
Ich bin vor mir und meinen Gefühlen auf der Flucht.
Nur leider weiß ich wieder mal nicht wohin.
Jacky ist nicht mehr da, als ich bei Pepe eintreffe.
„Sie ist nicht sauer“, sagt Pepe in ungewöhnlich ruhigem Ton. „Sie ist stink sauer! Und wenn ich du wäre, würde ich die Finger von diesem jungschen Daniel lassen und sofort zu ihr gehen.“
„Was hat sie von Daniel gesagt?“ Meine Stimme wird schrill.
„Nichts. Nur dass du sie wegen diesem Kerl versetzt hast. - Und, Liebes, lass dir eines sagen, Freunde sollte man wegen keines Kerls dieser Welt … du weißt schon. Ich spreche aus Erfahrung.“
„Aus Erfahrung? Heißt das, du bist schwul?“, bricht es fassungslos aus mir heraus.
„Natürlich. Wusstest du das etwa nicht?“
Nein, ich wusste es nicht. Hätte ich sonst diese Sex-Fantasien mit dir gehabt?! Wieder einmal bin ich froh, wenigstens meine Gedanken im Griff zu haben.
Mein Handy klingelt, und es ist Daniel! Hilfe, soll ich rangehen?
***
Jacky öffnet mir nicht ihre Tür!
Ich fasse es nicht. Ich stehe in ihrem Treppenhaus und versuche sie anzurufen.
Die alte Frau Piske mit ihrem Dackel kommt natürlich just in diesem Moment heraus. Ich nehme an, sie lauert immer, was bei den Mädchen so los ist. Ist ja auch immer spannend bei uns, keine Frage. Mal heult die eine, mal die andere, mal werden Tonnen von Süßigkeiten angeschleppt, dann plötzlich Windeln, dann kommt mal ein richtig gut aussehender Kerl, dann ist das nur der Klempner …
Frau Piske hat es jedenfalls gut. Sie setzt ihre Perücke auf und fühlt sich chic. Dass sie aussieht wie Atze Schröder, scheint sie nicht zu stören.
Jacky geht auch nicht an ihr Handy! Nachdem ich ihr das dritte Mal auf Mailbox gequatscht habe, wie leid es mir tut, was für eine miese Freundin ich bin und sie gar nicht verdient habe, gebe ich auf.
Ich bin eine Frau zwischen zwei Männern! Ein Szenario, von dem ich in meinem Leben nicht zu träumen gewagt hätte. Eher war ich mir sicher, als neurotischer Großstadtsingle in der Ambulanz der Psychiatrischen in Mitte zu enden. In diesem schönen Innenhof unter blühenden Büschen und meinesgleichen. Enddreißigerinnen, die alle Fehler ausschließlich bei sich suchen – und jede Menge finden.
Dabei können Männer, vor allem Männer um die 40, wirklich grausam sein. Haben sie doch selbst ihre Päckchen zu tragen. Nur über ihre Macken reden wir nicht.
Ich habe es wirklich geschafft! Ich bin nicht ans Handy gegangen, als Daniel angerufen hat. Und es fällt mir erst jetzt wieder ein. Oder um die Wahrheit zu sagen, ich habe mich selbst kasteit, die ganze Zeit daran gedacht und mich richtig stark gefühlt, zu widerstehen.
Schnell wähle ich die Nummer meiner Mailboxabfrage und höre seine junge, angenehme Stimme, die klingt wie die deutsche Synchron-Stimme von Leonardo DiCaprio.
„Nora, wo warst du so plötzlich, hier ist Daniel. Melde dich, ich muss dir was sagen.“
Na bravo, das hat er doch extra gemacht. „Muss dir was sagen.“ Natürlich bin ich mindestens so neugierig, wie wenn ich eine neue Haarfarbe ausprobiere und hoffe, dass sie mir steht. Und natürlich sehe ich mich im Spiegel an.
Meine Finger zittern bei 30 Grad. Und das wegen eines Kerls, der weit unter dreißig ist!
„Ich bin’s, Nora.“
„Es hat keinen Sinn zu flüchten“, sagt er und trifft damit den Punkt.
Ich werde blass und höre das Klappern von Tassen im Hintergrund.
Ich habe von der Frucht der Versuchung genascht und muss nun damit leben.
„Ich komm zu dir auf die Baustelle.“ Er klingt sehr entschlossen.
„Bist du verrückt?! Auf keinen Fall.“
„Aber ich muss dir was Wichtiges sagen.“
„Das kannst du genauso gut am Telefon tun“, versuche ich, meine Stimme so gelassen klingen zu lassen, wie Joan Collins damals im Denver-Clan, als sie mit einem jüngeren Lover telefonierte. Und ich fühle mich mindestens
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