Himmel der Suende
gesagt, du willst in die Ukraine“, sagte er. „Also fahren wir in die Ukraine.“
In einer der am heruntergekommensten Spelunken Mexico Citys, was wirklich schon eine ganz eigene Leistung für sich war, saß ein einsamer Mann an der verdreckten Theke und kippte gerade seinen achten Mezcal. Kaum hatte er das an den Rändern geplatzte Glas abgestellt, schenkte Malinal, die Wirtin, eine dicke gutmütige Nahua Anfang sechzig, wie verabredet nach. Sie würde nachschenken, bis er abwinkte ... oder vom Stuhl fiel. Wie jeden Tag in der vergangenen Woche, hatte er die Flasche mit dem Wurm im Voraus bezahlt - und jeden Tag brauchte er zwei bis drei Gläser mehr, bis er genug hatte ... oder zu viel.
Die Nutten, die in der Kneipe herumlungerten, interessierten ihn nicht. Sie hatten schon am dritten Tag aufgegeben, ihm ihre Dienste und ausgemergelten Leiber aufzudrängen - nachdem er einer von ihnen klargemacht hatte, dass er ihr den Arm brechen würde, wenn sie ihn auch nur noch ein einziges Mal ansprach.
Malinal war sich nicht sicher, ob er ein Gringo war, also ein Amerikaner, oder ein Europäer. Vielleicht war er auch Russe - er redete nicht viel, und sein Mexikanisch war akzentfrei. Er hätte aber auch ein Skandinavier sein können - die hellblonden Locken und die hellen Augen sprachen dafür ... und auch seine hünenhafte Statur. Das Auffälligste außer seiner Größe, seinem unverschämt guten Aussehen und seinen Schultern, die breit genug waren, um auch die streitlustigsten Saufkumpane der Spelunke davon abzuhalten, eine Schlägerei mit ihm vom Zaun zu brechen, war die Tatsache, dass er jeden Abend auf dem gleichen Hocker saß - genau gegenüber eines kleinen Schreins, den Malinal in einer Nische auf der Rückseite der Theke aufgebaut hatte und in dessen Zentrum eine kleine Statue stand, die einen weiblichen Engel darstellte.
Den ganzen Abend über starrte er diese Statue an.
Jeden Abend.
„Ángel“, hatte Malinal gesagt, als ihr sein Blick das erste Mal aufgefallen war. Das war Spanisch für „Engel“.
Er hatte genickt und dann „Ani’El“ gesagt, dabei den typischen „ch“-Laut in der Mitte wie ein „j“ ausgesprochen; aber Malinal war lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass man zahlende Kunden nicht korrigierte.
Er trank wie jemand, der vergessen wollte ... oder wie jemand, der vergessen werden wollte. Zu welcher der beiden Kategorien er gehörte, hatte Malinal noch nicht endgültig entschieden. Aber sie tendierte zu der zweiten. Die meisten Männer gehörten zu der zweiten. Malinal wusste: Entgegen weitverbreiteter Ansicht tranken Männer nicht, um jemanden zu vergessen - außer sich selbst; ihre Träume und Hoffnungen, Ideale und Prinzipien. Sie tranken, weil sie sich selbst verloren hatten, und betäubten mit dem Alkohol die Angst, dass man ihnen ihr Versagen an den Augen ablesen konnte. Sie wollten, dass man den Mann, der sie einmal waren oder hätten werden können, vergaß ... und sie für ihren Suff verachtete statt für ihr Scheitern.
Es gab einen Weg, das herauszufinden.
„Wie heißt du, Fremder?“, fragte Malinal ihn auf den Kopf zu. Die Männer der zweiten Kategorie wichen dieser Frage immer irgendwie aus. Immer.
„Manuel“, sagte er.
Also doch zu der ersten.
„La mano de dios“, sagte sie. „Die Hand Gottes.“
Er schüttelte den Kopf. „ El iman de cielo. “
„Der Magnet des Himmels?“
„Der Hauptmann der Himmel.“
„Ah“, sagte Malinal und schenkte das zehnte Glas ein. Sie war sich ziemlich sicher, dass iman Magnet hieß und nicht Hauptmann.
„Die alte Bedeutung ist Richtungsgeber, Anführer, verstehst du? Wie eine Magnetnadel in einem Kompass dir die Richtung gibt.“ Er stürzte das Glas hinunter, und die Wirtin schenkte nach.
„Aber um die Richtung geben zu können, darf man selbst sie nicht verloren haben“, sagte sie.
„Ich habe nicht meine Richtung verloren“, sagte er. „Ich habe meinen Pol verloren ...meinen Fixstern ... meine Sonne.“
Auch ohne Jahrzehnte Seelsorgererfahrung als Wirtin hätte sie sofort gewusst, dass es um eine Frau ging. Irgendwie ging es immer um eine Frau. Malinal wusste, das war in den meisten Fällen Verschwendung, und die Schlampe war es nicht wert, dass man ihr nachtrauerte oder auch nur einen Moment lang weiter über sie nachdachte. Aber erzähl das mal einem Mann, der leiden will, überlegte sie - einem, der sich der Illusion hingab, die einzig wahre Blume aus einem Garten voller Unkraut herausgepickt zu
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