Himmel der Suende
auf.
„Die erste Tür rechts“, sagte er, als sie die Stiege betrat, und dann erst merkte sie, dass er gar nicht vorhatte, sie zu begleiten, denn gerade wollte er die Tür hinter ihr von außen schließen.
„Würdest du vielleicht gerne mitkommen?“, fragte sie schüchtern.
Er schaute sie fragend an.
„Ich würde jetzt ungerne allein sein wollen“, gab sie zu. Sie hatte Angst davor, dass die Träume wiederkehrten. All die Menschen. Ihre Todesschreie.
„Du brauchst Schlaf, Anya“, sagte er noch einmal. „Du hast seit gestern Nachmittag kein Auge zugetan.“
„Ich weiß“, gab sie zu. „Aber ..."
Was sie mit Worten nicht ausdrücken konnte, versuchte sie ihm mit einem Blick zu sagen.
Sergej verstand. Er überlegte einen Moment, dann nickte er und kam zu ihr auf die Stiege hinab.
Anya ging vor, betrat die Kabine - und war positiv überrascht. Sie hatte eine Schlupfkajüte erwartet, so niedrig, dass man nicht einmal darin stehen konnte. Aber tatsächlich glich der Raum vor ihr fast mehr einer Luxussuite. Auf eine sehr klassische Weise waren Decke, Boden und Wände mit feinstem Mahagoni getäfelt, und die Metallteile wie der Rahmen der drei Bullaugen, Wandlampen und Leisten waren aus blank poliertem Messing. Ein wenig kitschig, wie sie fand, und wohl gerade deswegen sehr hübsch und auf eine exotische Weise heimelig. Das große Doppelbett in der Mitte war fein geschnitzt, und die vier Pfosten ragten vom Boden bis zur Decke, wo sie fest verankert waren.
Sergej half ihr beinahe schon behutsam aus dem Mantel und hängte ihn sorgfältig an einen der Haken auf der Innenseite der Tür. Wieder war da eine Fürsorglichkeit, die sie so bewusst früher nie an ihm erlebt hatte. Als er sich zu ihr herumdrehte, machte sie instinktiv einen Schritt auf ihn zu und schmiegte sich an ihn. Er nahm sie in die Arme und streichelte ihr Haar.
„Es wird alles wieder gut“, sagte er leise, und es lag eine Entschlossenheit in seiner Stimme, die sie spüren ließ, dass er das nicht nur als Floskel so dahinsagte, sondern wirklich meinte.
„Glaubst du?“, fragte sie dennoch unsicher.
„Ich werde dafür sorgen“, erwiderte er leise und küsste zärtlich ihren Scheitel.
Sie sog das Aroma seines Aftershaves genussvoll tief ein, schloss die Augen und seufzte leise, wobei sie ihre Wange noch ein wenig fester an seine Brust drückte, bis sie den kräftigen Schlag seines Herzens hören konnte.
Sie gab sich einen Ruck. „Darf ich dich vielleicht etwas fragen, Sergej?“
„Ja“, antwortete er. „Natürlich.“
Sie sammelte all ihren Mut, und es dauerte einige Momente, ehe sie endlich dazu in der Lage war, zu fragen: „Sag, warum bist du auf einmal so gut zu mir?“
Er zögerte - sogar noch länger als sie.
„Ich war schon immer gut zu dir, Anya“, sagte er dann. „So weit es mein Job als Aufpasser zuließ - und ohne das Risiko einzugehen, dass die anderen Mädchen glaubten, ich sei weich geworden. So ein Klub braucht nun einmal eine strenge Hierarchie, und die Mädels müssen wissen, wo ihre Grenzen sind.“
Jetzt wurde es ihr klar. Sergej hatte sie nicht nur stets bevorzugt - auf seine, zugegebenermaßen raue und grobe Weise war er auch immer gut zu ihr gewesen. Und - wie sie schon bei ihrer Autofahrt zu dem Herrenhaus erkannt hatte - seitdem sie im Studio war, hatte er nie wieder Sex mit einem der anderen Mädchen gehabt, obwohl das ganz gegen seine früheren Gewohnheiten gewesen sein musste.
„Aber warum?“
„Verdammt, Mädchen“, knurrte er ungehalten, ja beinahe unbeholfen und drückte sie noch fester. „Warum fragst du so etwas?“
„Weil es mich interessiert.“
„Kannst du es dir in deinem hübschen Köpfchen denn nicht von ganz alleine denken?“
Und plötzlich konnte sie.
„D... du liebst mich?“, fragte sie scheu und wagte nicht, ihn dabei anzusehen.
Er fasste sie mit seiner großen Hand beim Kinn und hob ihr Gesicht zu seinem hin.
„Hör auf, so viele dumme Fragen zu stellen“, brummte er, und sein sonst eisiger Blick war mit einem Mal so sanft wie nie. Dann küsste er sie - zärtlich und vorsichtig.
Es war, als würde dieser Kuss mit einem Mal all die Sorgen und Ängste von Anya hinfortspülen ... als wäre dieser Kuss der erste Kuss, den Sergej ihr jemals gegeben hätte ... und vielleicht war das auch tatsächlich der Fall. Sie erinnerte sich ganz genau an jedes der unzähligen Male, die er sie gefickt hatte, aber nicht daran, dass er sie jemals zuvor auf den Mund geküsst
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