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Himmel der Suende

Himmel der Suende

Titel: Himmel der Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riccarda Blake
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bei Weitem unauffälligste. Wir fahren zuerst den Rest des Ärmelkanals entlang, dann nach Osten durch den Kanal bei Flensburg in die Ostsee und dann von dort aus an Kopenhagen, Danzig und Riga vorbei direkt und ohne Zwischenstopp bis nach Sankt Petersburg. Der Kapitän dieses Schiffs setzt uns dort noch vor dem eigentlichen Hafen ab und sorgt dafür, dass an Land ein Wagen für uns zur Verfügung steht. So müssen wir nur die Grenze zwischen Russland und der Ukraine überqueren, und die Passkontrollen an den Grenzübergängen dort sind eher lax, falls sie überhaupt besetzt sind.“
    „Wären wir mit dem Flugzeug nicht schneller gewesen und hätten auch nur eine Passkontrolle gehabt?“, hatte Anya gefragt.
    „Nein“, hatte er erwidert, während sie über das schmale Fallreep an Bord geklettert waren. „In England hätte man unsere Pässe schon beim Abflug kontrolliert und dann wieder bei der Ankunft in Kiew, falls wir einen Flug ohne Zwischenlandung gekriegt hätten. Und selbst wenn ich in bar bezahlt hätte, wären unsere Reisedaten allein schon für die Ticketausstellung in das System eingepflegt worden. Wer auch immer uns verfolgt, hätte darüber ziemlich schnell herausfinden können, dass wir England verlassen haben und was das Ziel unserer Reise ist. So aber weiß niemand, dass wir das Land überhaupt verlassen haben und wohin wir fahren. Denk daran, falls du jemals alleine flüchten musst: immer nur per Auto, Zug oder Schiff - nie mit dem Flugzeug.“
    Sie hatten vor etwa zwei Stunden abgelegt und sofort Kurs Nordnordost in Richtung Nord-Ostsee-Kanal eingeschlagen. Laut Sergej ersparte ihnen diese Route einige Umwege und das zeitraubende Navigieren durch das Kattegat, das sogenannte Katzenloch zwischen Jütland und der schwedischen Westküste.
    Sobald sie erst einmal das andere Ende des Kanals bei Kiel erreicht hatten, würde der Rest des Weges nach Sankt Petersburg vollkommen frei vor ihnen liegen - und sie würden sich jederzeit, falls etwas ihre Pläne durchkreuzen sollte, absolut unbemerkt nach Schweden, Finnland, Deutschland oder Polen absetzen können, um von dort aus mit dem Wagen weiterzureisen.
    Das Meer zu ihren Füßen war tief grau - und Anya jagte am Bug des Zweimasters darüber hinweg, wie sie auch schon oft in ihren Träumen darüber hinweggejagt war. Doch in diesen Träumen hatte es nie ein Schiff unter ihren Füßen gegeben - sie war mit eigenen, weiten weißen Schwingen darübergeflogen ... ein Flammenschwert in der Hand ... auf dem Weg, Strafe zu bringen ... Verderben ... den Tod.
    Sie kniff die Augen zusammen, um die Gedanken an diese Träume zu verbannen und sich stattdessen daran zu erinnern, was im Kellergewölbe des Herrenhauses geschehen war, nachdem die Gestalt in der Kutte den Dolch in die Höhe gerissen hatte, um zuzustechen. Von da bis zu dem Moment, in dem Sergej aufgetaucht war, hatte sie einen Filmriss ... einen Blackout.
    Wie war sie ihre Fesseln losgeworden?
    Wieso hatte der Mann mit dem monströs verunstalteten Gesicht nicht zugestochen?
    Wer war er überhaupt?
    Wieso hatte er gesagt, sie würden einander kennen?
    Wer war der „Gebieter“, in dessen Auftrag sie gefangen genommen worden war, ehe der Narbige entschieden hatte, gegen ihn zu rebellieren und seinen Platz einzunehmen? Und wie zur Hölle hatten diese seltsamen farbigen Blitze die weibliche Kuttenträgerin in eine Statue aus Stein verwandelt?
    So viele Fragen - und sie hatte auf keine davon eine Antwort. Die musste in ihrer Vergangenheit liegen, weshalb sie jetzt auf dem Weg nach Kiew war; auch wenn sie noch keinen einzigen Anhaltspunkt hatte, wo genau sie dort zu suchen beginnen sollte.
    In dem Heim, in dem sie die ersten trostlosen Jahre ihrer Kindheit verbracht hatte? Bei den Pflegeeltern? Aber bei welchen der vielen ... die sie allesamt nur aus dem Heim geholt hatten, um sie in Schneidereien und im Hafen in Vierzehnstundenschichten schuften zu lassen oder sie auf den Strich zu schicken?
    Sie hatte keinen Plan - aber sie war froh, dass Sergej an ihrer Seite geblieben war. Er gab ihr das Gefühl, zumindest einigermaßen sicher zu sein. So wie jetzt, als er hinter sie trat und ihr eine Decke über die Schultern legte.
    „Komm in die Kajüte“, sagte er. „Du musst ein wenig schlafen. Wer weiß, was noch vor uns liegt.“
    Folgsam begleitete Anya ihn über das Vorderdeck zu der Tür, die nach unten führte. Mit einer Fürsorglichkeit, die sie bei ihm bisher noch nie erlebt hatte, hielt er sie ihr

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