Himmel, Polt und Hölle
Simon.“
„Aber nur äußerlich. Und jetzt bin ich grantig und
geh.“
„War nicht so gemeint.“
„Hoffentlich.“
Rechtzeitig besann sich Simon Polt darauf, daß er
eigentlich glücklich war. Karin, ein eigenes Preßhaus, mehr konnte er sich gar
nicht wünschen. Er beschloß also, diesen Tag, den er sonst ja doch nur
verschlafen und vertrödelt hätte, festlich zu begehen.
Die letzte Zeit über hatte er fast schon vergessen,
daß er nunmehr Haus und Boden besaß. Von wegen! Polts verbrieftes Eigentum maß
kaum sechzig Quadratmeter und endete mit der Dachtraufe. Die Bäume und Büsche
rund um das Preßhaus standen auf Gemeindegrund. Aber sie gehörten ihm ja trotzdem,
so irgendwie wenigstens.
Als er dann in der kleinen Lichtung vor seinem
Preßhaus stand, kam unversehens die Freude über ihn. Er machte einen Luftsprung
und stieß einen urtümlichen Schrei aus. Dann ging er zum Fahrrad, nahm einen
braunen Papiersack vom Gepäckträger, öffnete behutsam die morsehe Kellertür
und legte sein Mittagsmahl ins Kühle. Wieder im Tageslicht, ging er ins
Preßhaus und schaute sich gemächlich um. Gleich neben der Tür stand eine große
Blechtonne. Ignaz Reiter hatte das Problem der Wasserversorgung offensichtlich
sehr klug gelöst: Das Abflußrohr der Dachrinne war durch die Wand ins Haus
geleitet, wo eine Regentonne stand.
Möbel, bäuerliches Gerät und andere Sammelstücke
füllten den Raum derart, daß Polt nur wenige Schritte tun konnte. Im Dachgebälk
stand ein Lastschlitten, daneben lagen große hölzerne Rechen. Die Wände waren
über und über von Bildern bedeckt. Da gab es alte Ansichtskarten, Kunstdrucke
mit Bibelszenen, ein großes Bild, das Kaiser Franz Joseph zeigte, das Foto
einer Tänzerin im Tüllkleid mit aufreizend nackten Schultern, Filmplakate und
Seiten aus Kinderbüchern, manche davon mit Buntstift ausgemalt. Auf einer
kleinen Schiefertafel stand mit Kreide Einschlag 7. Aug. geschrieben. An diesem Tag also hatte Ignaz Reiter seine
Fässer zum letzten Mal geschwefelt.
Polt, der eben einen geschnitzten Vogel von der Wand
genommen hatte und ihn vom ärgsten Staub befreite, horchte auf, als er von der
Kellergasse her ein Motorgeräusch hörte, das ihm verteufelt bekannt vorkam:
Ein verhaltenes, aber kraftvolles Grollen und Grummeln.
Rasch legte er den Vogel beiseite, trat ins Freie
und stand nach ein paar Schritten vor einem tiefschwarzen Roadster, gelenkt von
Heinz Hafner. „Mein lieber Inspektor Polt! Welch angenehmes Wiedersehen.“
Der Gendarm starrte ihn sprachlos an.
„Es ist nicht immer leicht, die richtigen Worte zu
finden. Kenn ich von mir.“ Hafner stieg aus und streckte sich. „An die tausend
Kilometer seit Mitternacht. Das geht in die Knochen, und sehr wahrscheinlich
habe ich Schwielen am Arsch. Ihr Chef war so freundlich mir zu sagen, wo ich
Sie finden könnte.“
„Wo zum Teufel waren Sie denn? Was haben Sie getrieben,
die ganze Zeit über?“
„Mit Freund Pietro Montanari den Oliven beim Reifen
zugeschaut. Mörderisch roten Raboso getrunken und in Bologna in der Basilika
San Petronio ein Kerzlein für die arme Amy Pröstler entzündet. - Ist das Ihr
Preßhaus, Herr Polt?“
„Ja, von hinten.“
„Dann wollen wir doch gleich einmal die Vorderansicht
genießen.“ Polt ging voran, Hafner war so dicht hinter ihm, daß der Gendarm
sein Rasierwasser riechen konnte. Auf der Lichtung drehte sich der Besucher
leichtfüßig im Kreis, schaute dann neugierig zur Kellertür hinunter und stieß
einen Seufzer aus. „Sehr schön, wirklich, sehr, sehr schön.“ Er näherte sich
der Preßhaustür. „Ist es gestattet?“
„Warum nicht?“
Hafner trat ein und blieb stehen, als sei er gegen
eine Wand gerannt.
Polt war ihm gefolgt. „Was ist?“
„Was soll sein? Ich bin überwältigt!“ Dann löste
sich seine Starre und er begann, das Preßhaus zu durchstöbern. Dabei erinnerte
er Polt an Czernohorsky, wie er als ganz junges Kätzchen mit unermüdlicher
Neugier seinen neuen Lebensraum erforscht hatte. Hafner trat dicht an das
Kaiserbildnis heran. „Haben Sie das schon gesehen, Herr Polt? Eine Notiz, mit
dem guten, alten Tintenblei geschrieben: 12. Mai
1918. Wieder an die Front. Ignaz Reiter. Wer war
das? Ein früherer Eigentümer?“
„Ja, vor ein paar Jahren noch. Ist 96 Jahre alt
geworden. Zwei Weltkriege in einem Leben. Das ist schon was.“
„Kaum vorstellbar.“ Hafner schaute Polt ernst ins
Gesicht. „Ich habe viel Geld, und Sie sind reich, mein Lieber.
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