Himmel uber Langani
ich deiner Ansicht nach bitte tun? Mein Gesicht ist entstellt, ich kann nicht arbeiten, ich kann mich nicht einfach anziehen und wie ein normaler Mensch auf der Straße herumlaufen, weil ich zum Fürchten aussehe. Ich kann nicht schlafen. Ich werde die Träume, die Bilder und auch den Klang ihrer Stimmen nicht mehr los. Und du willst mir weismachen, das alles spiele keine Rolle.«
Camilla war nicht mehr in der Lage, ein sachliches medizinisches Gespräch zu führen. Die Verzweiflung hatte sie überwältigt, und sie war machtlos dagegen. Ihr Aufstieg in der Welt der Mode war rasant gewesen, und inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, gefeiert und bewundert zu werden. Und nun, an diesem trüben Morgen, begriff sie, dass ihre Karriere jetzt möglicherweise zu Ende war. Glanz und Ruhm und waren offenbar ein vergängliches Gut. Ihre Versuche, die Fassung zu bewahren, waren von Anfang an nur Selbsttäuschung gewesen. Der Mann, den sie liebte, war Tausende von Kilometern weit weg, wusste von nichts und interessierte sich vermutlich nicht im Geringsten für ihr Schicksal. Camilla fragte sich, ob der Arzt ihr vielleicht weitere Beruhigungstabletten verschreiben würde, wollte ihn aber in Marinas Gegenwart nicht darum bitten. Doch das war auch kein Problem. Die meisten ihrer Freundinnen hatten keine Schwierigkeiten, sich Betäubungsmittel zu beschaffen: Haschisch, Kokain, etwas zum Aufputschen oder zur Beruhigung. Außerdem sehnte sie sich nach einem Drink und einer Zigarette und wollte nur noch aus diesem stickigen Zimmer flüchten.
»Tut mir Leid«, sagte sie. »Die ganze Sache war ein ziemlicher Schock. Wahrscheinlich hat es mich tiefer getroffen, als ich dachte.«
»Ich denke, ich sollte Ihnen etwas verschreiben, das Ihnen beim Schlafen hilft. Sicher ist Ihnen klar, dass nicht nur Ihr Körper Wunden davongetragen hat.« Carradines Tonfall war mitfühlend und ruhig. Er zog einen Rezeptblock aus der Schreibtischschublade. »Sie haben ein schweres Trauma erlitten, und es wird eine Weile dauern, bis die Narben auf Ihrer Seele heilen. Ich möchte Sie in etwa zehn Tagen wiedersehen. Dann werde ich die Fäden ziehen, und wir können die nächsten Schritte planen. Bis dahin sollten Sie über Ihre Erlebnisse sprechen – mit Ihrer Mutter, Ihrer besten Freundin, Ihrem Freund. Jedenfalls mit einem Menschen, dem Sie vertrauen und den Sie sehr lieben. Das wird Ihnen am meisten helfen.«
Wie eine Schlafwandlerin verließ Camilla die Praxis und folgte Marina hinaus auf die Straße, wo sie in ein Taxi stieg, sich in den Sitz sinken ließ und die Augen schloss. An einer Apotheke hielten sie an, um das Rezept einzulösen. Zurück in der Wohnung, setzte sich Marina neben ihre Tochter und nahm ihre Hand.
»Liebling, alles wird gut. Die Zeit vergeht schneller, als du denkst. Edward war sehr zuversichtlich. Er würde dir nie etwas vormachen.«
»Ich weiß, und ich bin sicher, dass er so wundervoll ist, wie du sagst. Und wenn ich es mir genau überlege, bin ich sehr froh, dass er mich behandeln wird. Ich bin dir sehr dankbar für alles, Mutter. Wirklich.«
»Hast du heute Nachmittag Lust auf ein wenig Ablenkung? Wir könnten ins Kino gehen. Irgendwo hin, wo es bequem ist, zum Beispiel ins Curzon.«
»Nein, ich glaube, ich lese lieber ein Buch, lege mich gemütlich in die Badewanne und gehe dann früh zu Bett. Mit diesen Tabletten kann ich sicher schlafen, wenn dein Freund, der Doktor, Recht hat. Ich muss eine Nacht allein verbringen, Mutter. Das ist wichtig für mich. Ich schaffe das schon.« Sie war zu müde, um weiter darauf zu dringen, und deshalb erleichtert, als Marina aufstand und sie küsste.
»Gut, Liebes, ich finde selbst hinaus. Tschüss.«
Camilla ging ins Schlafzimmer, bevor Marina Zeit hatte, ihre Meinung zu ändern. Als sie aus dem Fenster sah, wurde sie von einem Gefühl der Einsamkeit überwältigt. Offenbar war es zu früh für sie, allein zu bleiben. Marina war schon fast an der Vordertür, als das Telefon läutete. Also drehte sie sich noch einmal um und hob ab.
»Es ist Sarah Mackay«, verkündete sie, als Camilla aus dem Schlafzimmer kam. »Aber rede nicht zu lange. Wir sehen uns morgen.«
Camilla erzählte Sarah von dem Arzttermin und dem langen Weg, der noch vor ihr lag.
»Was ist mit deinem Vater?«, fragte Sarah. »Er wird dir doch sicher helfen, das durchzustehen.«
»Er ist verreist und kommt erst heute Abend oder morgen wieder«, antwortete Camilla. »Aber Mutter war hier. Ganz ruhig und vernünftig.
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