Himmel uber Langani
einem schönen Fotomodell widerstehen. Es wundert mich immer wieder, wie weltfremd du manchmal sein kannst, Camilla, obwohl du sonst eigentlich einen recht intelligenten Eindruck machst. Ich gehe jede Wette ein, dass er dir an die Wäsche will. Wie alle anderen Männern, die du kennst.«
»Du hast eine schmutzige Phantasie.« Camilla lachte auf.
»Stimmt. Was hältst du von einem gemeinsamen Mittagessen, mein Schatz? Um eins. Anschließend begleite ich dich zu dem Interview. Die Chefredakteurin ist verrückt nach mir und wie Wachs in meinen heißen Händen. Bis später also.«
Camilla rief ihren Arzt an und fuhr mit dem Taxi in die Sloane Street. Im Wartezimmer drängten sich junge Mütter mit schreienden Kindern und alte Leute, die an Husten oder Arthritis litten. Als der Arzt ihren geschwollenen Fuß bewegte und anschließend verband, stieß sie einen Schmerzensschrei aus.
»Es ist nur eine Verstauchung«, sagte er. »Belasten Sie den Knöchel nicht zu stark, sonst schwillt er weiter an. Wenn er abgeheilt ist, sollten sie Krankengymnastik machen. Ich werde Ihnen einen Physiotherapeuten empfehlen, mit dem sie ein paar Termine vereinbaren können. In einem Monat sind Sie wieder wie neu.«
Sie kam ein paar Minuten zu spät ins Restaurant und stocherte nur in ihrem Essen herum, während Tom einen großen Teller Spaghetti verschlang und dazu eine halbe Flasche Wein trank.
»Was war gestern Nacht los?«, fragte er. »Eigentlich wollte ich dich einem deutschen Fotografen vorstellen, der darauf brennt, mit dir zusammenzuarbeiten. Aber du warst verschwunden. Jemand meinte, du wärst mit Giles weitergezogen.«
»Kennst du ihn etwa?« Camilla glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen, und trank hastig einen Schluck Eiswasser.
»Natürlich kenne ich ihn«, erwiderte Tom. »Er entstammt einer wohlhabenden Familie aus Dorset und arbeitet bei einer großen Bank. Beruflich hat er mehrere Jahre in Hongkong und Italien verbracht. Ich glaube, er war auch in Rom. Er verdient ausgezeichnet und ist ein netter Kerl. Ein Jammer, dass er schwul ist. Wenn ich vom anderen Ufer wäre, würde er mir auch gefallen. Er ist klug und amüsant, und seine Wohnung ist mit teuren Gemälden gepflastert. Außerdem hat er eine tolle Stereoanlange. Mich wundert, dass du noch nie auf einer seiner Partys warst. Er verkehrt nämlich in denselben Kreisen wie deine Eltern. Warst du gestern noch mit ihm unterwegs?«
»Nein.« Offenbar blieb Camilla nichts anderes übrig, als sich von einem weiteren Vorurteil zu verabschieden. »Ich bin nach Hause zu Mutter gefahren. Es geht ihr nicht sehr gut.«
»Die Arme hat wirklich Pech gehabt. Und jetzt trink deinen Kaffee und deinen Wein aus, damit wir losziehen und Heim und Haushalt im Sturm erobern können. Es ist genau die richtige Zeitschrift für dich mit deinen hausfraulichen Fähigkeiten. Hast du eigentlich jemals im Leben eine Schürze getragen? Für dreißig Sekunden vielleicht?«
Nach dem Besuch in der Redaktion fuhr Camilla in die Wohnung am Hyde Park, wo Marina sich auf dem Sofa ausruhte.
»Was um Himmels willen ist denn mit deinem Fuß passiert?«, fragte sie.
»Ich bin heute früh auf dem Gehweg gestolpert. Es ist nicht weiter schlimm.«
»Bleibst du heute auch über Nacht?« Marina war in gereizter Stimmung. »Dein Vater hat angerufen. Er kommt erst morgen Nachmittag aus Genf zurück. Mrs. Maskell hat Suppe und kaltes Huhn in den Kühlschrank gestellt und außerdem irgendeinen Pudding gekocht.«
»Ja, ich bleibe. Aber zuerst muss ich nach Hause. Ich brauche saubere Sachen und habe außerdem noch ein paar Dinge zu erledigen.«
Camilla sehnte sich nach ihrer Wohnung, nach Ruhe und Frieden und danach, ihren pochenden Fuß hochzulegen und einfach gar nichts zu tun. Sie hielt ein Taxi an und stieg erleichtert ein. Die dämmrigen Straßen waren festlich mit Lichterketten geschmückt, und auf den Gehwegen drängten sich Passanten, die ihre Weihnachtseinkäufe erledigten. Camilla hatte zwar auch eine Einkaufsliste in der Handtasche, konnte sich aber nicht dazu überwinden, durch den Weihnachtstrubel zu humpeln und ihren Platz in den langen Warteschlagen vor den Kassen zu behaupten. Und was sollte sie ihrer Mutter schenken? Die Schlafzimmerschränke quollen bereits über von seidenen Nachthemden, handgefertigten Pantoffeln und Kaschmirschals. Außerdem hätte ein weiteres Stück teurer Nachtwäsche Marina nur daran erinnert, dass sie bald vollständig bettlägrig sein würde.
Hannah und Sarah
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