Himmel uber Langani
sie sich auf der Suche nach einem Drink und einer Sitzgelegenheit durch die Menschenmenge schlängelte. Schließlich ließ sie sich in einen Sessel sinken, lehnte sich in die Polster und ließ den Blick unter halb geschlossenen Lidern durch den Raum schweifen. Und da sah sie ihn: Er stand am Fenster, war braun gebrannt und sehr blond. Aufmerksam lauschte er den Worten eines Mädchens, das ihm trotz des Lärms im Raum etwas zu erklären versuchte. Als Camilla aufsprang, verlor sie das Gleichgewicht und verschüttete den Inhalt ihres Glases. Ihr einziger Gedanke war, sofort zu verschwinden, bevor er sie bemerkte. Sie bückte sich nach ihrer Handtasche, doch als sie sich wieder aufrichtete, stand er bereits vor ihr.
»Gehst du schon?«, fragte er. »Ich komme mit.«
»Lass mich in Ruhe«, zischte Camilla und schob ihn weg. Sie stürzte durch den Raum, polterte die Treppe hinunter, riss ihren Mantel vom Haken und rannte in die regennasse Nacht hinaus. Da kein Taxi in Sicht war, machte sie sich zu Fuß auf den Weg zur King’s Road. Wut stieg in ihr auf, als sie Schritte hinter sich hörte.
»Bist du taub?«, schrie sie. »Du sollst mich in Ruhe lassen. Hau einfach ab!«
»Ich muss mit dir reden«, beharrte er und versuchte, sie festzuhalten.
»Nein. Verschwinde!« Sie blieb stehen und wirbelte herum. »Wenn ich dich schon sehe, kriege ich das kalte Kotzen!«
»Mit deinem Verhalten tust du deinem Vater weh«, entgegnete er. »Weißt du denn nicht, dass du sein Ein und Alles bist? Das macht ihn kaputt. Ich wünschte, er würde mich nur halb so sehr lieben wie dich.« Er packte sie am Arm und schüttelte sie. »Verdammt, dreht sich bei dir denn alles nur um dich und dein oberflächliches Getue?«
»Fass mich nicht an und verschwinde. Ich will nichts mit dir zu tun haben.« Camilla beschleunigte ihren Schritt, bis sie buchstäblich über den glitschigen Gehweg rannte. Als ein Taxi auftauchte, hob sie den Arm, aber offenbar hatte der Fahrer sie im strömenden Regen nicht gesehen, denn der Wagen fuhr weiter.
»Komm zurück!« Inzwischen hatte er sie wieder eingeholt. »Bitte. Wir müssen miteinander reden.«
Camilla hielt inne. »Nein, das müssen wir nicht. Ich will kein Wort mehr von dir hören und dich nie wiedersehen.«
»Bitte«, flehte er. »So hör mir doch zu. Du …«
»Für wen hältst du dich bloß?«, schrie Camilla hasserfüllt. »Er benutzt dich doch nur für sein Doppelleben! Eine kleine Affäre. Vermutlich bezahlt er dich sogar. Also hau endlich ab und komm nie wieder in meine Nähe. Kapiert, du kleines Stück Dreck!«
Er blieb wie angewurzelt und mit hängenden Schultern stehen, und Camilla bemerkte, dass er ihr ohne Mantel nachgelaufen war. Inzwischen war er nass bis auf die Haut .
»Ich weiß, dass deine Mutter im Sterben liegt«, sagte er verzweifelt. »Und er möchte diese letzten Monate mit euch beiden verbringen. Sie soll vor ihrem Tod wissen, dass ihr beide sie liebt. Warum bist du nur so vernagelt, dass du das einfach nicht begreifen willst? Bist du wirklich so herzlos, selbstgerecht und verlogen, dass du diese Kleinigkeit nicht in den Kopf kriegst? Warum gönnst du ihnen nicht ein paar gemeinsame Wochen, anstatt sie auseinander zu treiben? Haben sie nicht schon genug zu ertragen, ohne dass du auch noch Sand ins Getriebe streust?«
Als Camilla am Ende der Straße wieder ein Taxi entdeckte, hob sie den Arm, um es anzuhalten. Gleichzeitig machte sie einen Satz auf die Straße, stolperte aber über die Bordsteinkante, stürzte und verlor einen Schuh. Ihre Handtasche landete im Rinnstein. Sie spürte einen stechenden Schmerz im Fuß, als sie sich aufrappelte und ihre Tasche mit dem Schlüssel und dem Taxigeld retten wollte. Doch er kam ihr zuvor, hob ihre Habseligkeiten auf, half ihr ins Taxi und stieg neben ihr ein. Nachdem er dem Fahrer die Adresse genannt hatte, saßen sie schweigend da, während der Regen aufs Wagendach trommelte. Die stickige Heizungsluft löste bei Camilla ein Kitzeln in der Kehle aus, sodass sie sich hustend abwendete. Sie war außer sich vor Wut, weil er es gewagt hatte, die Adresse ihrer Eltern auszusprechen, und erinnerte sich an ihre erste Begegnung im Schlafzimmer ihres Vaters. Vor dem Haus angekommen, half er ihr aus dem Wagen und die Stufen zur Tür hinauf. Seine Finger umklammerten ihren Arm wie ein Schraubstock.
»Ich heiße Giles Hannington«, begann er. »Tut mir Leid, dass ich dir ein paar unangenehme Dinge sagen musste. Glaube mir, ich weiß, wie schwer
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