Himmel uber Langani
genossen ihr Vertrauen. Nach einem im drückend heißen Busch verbrachten Tag setzten sie sich mit Erope und Julius in den Schatten eines Baums. Auf den Fersen kauernd, tranken sie Tee mit Milch und erörterten die Tageserlebnisse.
»Du musst den beiden gut zuhören«, hatte Dan Sarah von Anfang an geraten. »Spitz die Ohren, denn sie wissen, dass auch das kleinste Zeichen und das leiseste Geräusch eine Bedeutung haben. Ihre Vorfahren haben schon vor Urzeiten diesen Busch durchstreift. So können sie einem Pfotenabdruck, einem abgeknickten Ast, der Position eines Sterns oder dem Flug eines Vogelschwarms alle wichtigen Informationen entnehmen. Sie sind deine wahren Führer und Lehrer. Wahrscheinlich gibt es bei ihnen eine Art kollektives Gedächtnis, und ihre Weisheit ist viel älter als alles, worauf du oder ich zurückgreifen können.«
Obwohl Sarah den Großteil ihres Lebens in Kenia verbracht hatte, war sie nie Afrikanern wie Erope und Julius begegnet. Allein Zeuge zu werden, wie sie im Einklang mit der Natur lebten, war aufschlussreich genug, und jeden Tag lernte Sarah etwas Neues, indem sie zusah, wie sie Informationen sammelten, geduldig abwarteten oder buchstäblich mit ihrer Umgebung verschmolzen, ohne die wilden Tiere zu stören.
»Die Afrikaner, die ich als Kind kannte, waren Köche, Gärtner oder Landarbeiter«, sagte sie eines Abends, als sie mit Dan und Allie am Lagerfeuer saß. »Nie haben wir darüber nachgedacht, woher sie kamen, oder versucht, etwas über ihre Weisheit zu erfahren, denn wir waren viel zu überzeugt davon, dass unser Weg der bessere war.«
»Das ist er auch, solange wir uns auf unserem Territorium befinden«, meinte Allie. »Wir dürfen nichts idealisieren. Ich jedenfalls möchte nicht als beschnittene dritte Ehefrau eines Kriegers enden und den lieben langen Tag posho mahlen oder Ziegen hüten.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Sarah. »Aber als ich in Dublin war, bekam ich ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, wie die Weißen ihr Personal behandeln. Andererseits habe ich miterlebt, wie Piet und Hannah mit ihren Arbeitern umgehen. Von unserer Warte aus wirken ihre watu kindisch und primitiv. Es ist ziemlich kompliziert.«
»Nicht unbedingt«, wiedersprach Allie. »Wir sind vor gut hundert Jahren hier aufgetaucht und haben Land und Leuten unsere Lebensweise aufgezwungen. Wir haben Schulen, ärztliche Versorgung und andere positive Dinge eingeführt. Doch wir haben nie richtig zugehört, weil das als ein Zeichen von Schwäche galt. Da wir Weißen herrschen wollten, mussten wir Allwissenheit vortäuschen.«
»Diese Form von Ignoranz trifft man nicht nur bei Regierungen oder in Afrika an«, warf Dan ein. »Man findet sie überall. Wenn man zum Beispiel einen Hinterwäldler aus dem tiefsten Georgia in einem schicken New Yorker Restaurant als Kellner einstellt, wird man sich auch nicht in aller Ruhe anhören wollen, was er so denkt. Man würde versuchen, ihm seine verschrobenen Südstaatenansichten auszutreiben und ihn so schnell wie möglich in einen anderen Menschen zu verwandeln. Wir alle haben den Drang, unsere Mitmenschen zu verändern und sie uns nach unserem Weltbild zurechtzubiegen.«
»Das alles ist nur eine Frage der Zeit«, wandte Allie ein. »Heute müssen wir Afrikaner als gleichberechtigt anerkennen, was für uns noch verhältnismäßig neu ist. Aber der gute Wille ist vorhanden, und darauf können wir aufbauen. Allerdings wird die Übergangszeit nicht nur ein paar Jahre dauern, sondern Generationen.«
Sarah hatte ihren Film mit den Aufnahmen vom Elefantenbegräbnis entwickeln lassen. Sie empfand es als sehr ermutigend, dass die Briggs’ die Fotos über alles lobten. Nun wusste sie, dass ihre Bilder etwas Besonderes waren und sie mit Recht stolz darauf sein konnte. Als sie eines späten Abends müde von der Arbeit zurückkam und sich schon auf eine Dusche freute, wurde sie von Allie erwartet. Sie berichtete, Hannah habe sich am Funk gemeldet, Sarah solle sich sofort mit Langani in Verbindung setzen. Hatte es wieder einen Überfall gegeben?, dachte Sarah erschrocken. Hatte ein neuerliches Gemetzel stattgefunden? Hannahs Stimme war wegen des Zischens und Knisterns kaum zu verstehen, und die Wörter klangen verzerrt. Doch als Sarah besorgt nachbohrte, beteuerte sie, dass nichts vorgefallen sei. Sie habe Sarah nur über das Wochenende einladen wollen.
»Ich kann nicht«, meinte Sarah bedauernd. »Weihnachten steht vor der Tür, und deshalb ist es unmöglich, dass
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