Himmel uber Langani
so aufregend, wie alle glauben. Ihre hübsche Tochter sollte sich lieber einen anständigen Beruf suchen.«
Tom erwartete sie in seinem Büro in Soho. Da es in einem heruntergekommenen Gebäude mit einer steilen Treppe lag, fanden seine Besprechungen mit Zeitschriftenredakteuren stets anderswo statt. Das Licht im Treppenhaus und auf dem Flur funktionierte nur selten, und Camilla war einige Male auf den Stufen gestolpert, bis sie sich an den faltigen, zerschlissenen Teppich gewöhnt hatte.
»Warum suchst du dir nichts Besseres?«, fragte sie ihn zum wohl hundersten Mal. »Du könntest wenigstens eine Putzfrau und eine gute Sekretärin einstellen. Schließlich verdienst du genug, um dir ein komfortableres Büro zu leisten. Schau dir nur diese widerlichen Kaffeetassen an! Als ich letzte Woche hier war, standen sie auch schon im Spülbecken. Offenbar hat seitdem niemand abgewaschen. Wie kann man nur so schlampig sein?«
»Ein Glück, dass ich nicht vorhabe, dich zu heiraten! Du würdest nämlich eine prima nörgelnde Ehefrau abgeben«, erwiderte er fröhlich. »Im Schrank stehen noch mehr Tassen. Also sei ein liebes Mädchen und koch uns einen Kaffee. Du hast ein neues Angebot für Katalogaufnahmen. Aber die Kleider sind scheußlich, und ich finde, du solltest ablehnen.«
»Zurzeit kann ich es mir nicht erlauben, etwas abzulehnen«, entgegnete sie.
»Aber wenn du alles annimmst, wird es bald heißen, dass du aus dem letzten Loch pfeifst. Du brauchst das Geld nicht, und im neuen Jahr bist du für Aufnahmen in Paris gebucht. Du musst nur hier unterschreiben. Das Honorar ist ziemlich gut.«
»Ich könnte bald in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Im März oder April wird die Narbe entfernt, und das bedeutet, dass ich wochenlang außer Gefecht gesetzt bin und nichts verdienen werde.« Sie hatte eine Todesangst davor, in finanzielle Bedrängnis zu geraten, denn dann würde sie ihre Wohnung aufgeben oder das Gästezimmer an eine Fremde vermieten müssen. Wieder bei ihren Eltern einzuziehen kam nicht in Frage. Ihre Unabhängigkeit war für sie das Wichtigste im Leben.
»Du hast in den letzten Jahren gut verdient.«
»Und viel ausgegeben. Für Safaris und anderen Blödsinn.«
»Keine Sorge, Schätzchen, ich werde immer für dich da sein. Du brauchst mich nur zu fragen. Darauf kannst du dich verlassen.«
Sein Tonfall klang so anders als sonst, dass sie sich vom Spülbecken wegdrehte, wo sie gerade den schwarzen Rand aus einer Kaffeetasse schrubbte. Er musterte sie, und ein leichtes Zucken seines Mundwinkels strafte seine gelassene Miene Lügen. Einen Moment herrschte beklommenes Schweigen. Dann stand er auf.
»Los«, sagte er. »Kümmern wir uns um die Schmucksache und die Fotos für die Zeitschrift, damit du nicht doch noch im Obdachlosenasyl landest. Übrigens hast du scheußliche Augenringe. An deiner Stelle würde ich noch kurz im Bad verschwinden und irgendetwas drüberpinseln. Und dann auch noch dieses Hinken! Du bist wirklich ein Bild des Elends. Sei froh, dass du mich hast, der auf dich aufpasst.«
Zurück in ihrer Wohnung, kochte Camilla Tee und zündete sich eine Zigarette an. Erst Edward Carradine und jetzt auch noch Tom. Konnte es wirklich sein, dass beide zärtliche Gefühle für sie empfanden? Und wenn ja, warum war sie dann nicht in der Lage, darauf einzugehen? Sie hatte versucht, Anthony aus ihren Gedanken zu verbannen, indem sie sich immer wieder sagte, dass sie nur eines der dummen Gänschen gewesen war, die dem unersättlichen Frauenverschleiß eines weißen Jägers zum Opfer fielen. Sie bedeutete ihm nichts. Er hatte sich nie wirklich für sie interessiert. Schließlich hatte er weder angerufen noch geschrieben, um herauszufinden, wie es ihr körperlich und seelisch ging. Wie gerne hätte sie ihn für seine unverfrorene Gleichgültigkeit gehasst und verachtet. Doch sie wahr ehrlich genug, um sich sich einzugestehen, dass sie noch immer etwas für ihn empfand. Da ihr Fuß wieder pochte, breitete sie eine Decke über ihre Beine und stützte den Knöchel mit einem Kissen. Sie hatte etwa eine halbe Stunde gedöst, als das Telefon läutete.
»Meine Liebe, Ihre Mutter fühlt sich gar nicht wohl.« Mrs. Maskell klang sehr beunruhigt. »Sie hat Fieber und glüht förmlich, und ihr Atem hört sich merkwürdig an. Dr. Ward ist bereits unterwegs. Das Flugzeug Ihres Vaters kann wegen Nebel in Genf nicht starten. Er hat angerufen und gesagt, dass er sich verspäten wird. Ich glaube, es wäre das Beste, wenn
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