Himmel uber Langani
ganze Geschichte zu erzählen, ohne dabei ins Stocken zu geraten. Immer wieder musste sie den Hörer an Anthony übergeben, um sich zu beruhigen, bevor sie weitersprechen konnte. Sie versuchte, ihrem Vater klar zu machen, dass sie Hannah jetzt unter gar keinen Umständen allein lassen durfte. Nur wenn sie ihre Trauer teilten, würden sie den Mut zum Weiterleben finden. Raphael und Betty konnten hingegen ihre tiefe Besorgnis nicht verhehlen. Immerhin war noch kein Täter verhaftet worden, und es war jederzeit möglich, dass der Verbrecher wieder zuschlug. In Langani war es gefährlich, und sie fürchteten um das Leben ihrer Tochter. Doch Sarah ließ sich nicht beirren und flehte sie an, ihre Entscheidung anzuerkennen, bis sie sich schließlich damit abfinden mussten, dass all ihre Einwände zwecklos waren. Als Tim ans Telefon kam und Sarah ebenfalls drängte, sofort nach Irland zu kommen, verabschiedete sie sich und kehrte in den Albtraum zurück, der ihr Leben inzwischen prägte.
Das Telefon läutete unablässig. Nachbarn und Freunde trafen ein, und bald wimmelte es im Haus von Menschen. Es gab viel zu tun, denn man musste für Mahlzeiten und Getränke sorgen. Am Abend beschloss Lottie, nach Nairobi aufzubrechen, um am nächsten Tag nach Süden zu ihrem Mann zu fliegen und ihm den Rücken zu stärken. Hannah saß stumm und verstockt da und weigerte sich, die um Verständnis bittenden Blicke ihrer Mutter zur Kenntnis zu nehmen. Sie wollte nicht einsehen, dass die Bedürfnisse ihres Vaters wichtiger sein sollten als ihre.
Als die letzten Trauergäste fort waren, ging Lottie in ihr Schlafzimmer, um zu packen. Sarah folgte ihr, denn sie musste sich durch eine Beschäftigung von ihrem Schmerz ablenken. Sie wusste zwar nicht, was sie sagen sollte, doch sie versuchte, Trost zu spenden, indem sie Lottie immer wieder die Hand tätschelte, Kleidungsstücke faltete und in den Koffer legte und durch kleine Gesten ihr Mitgefühl zum Ausdruck brachte. Mit einem gezwungenen Lächeln klappte Lottie zu guter Letzt den Koffer zu.
»Ich habe Hannah angefleht, mich zu begleiten, aber sie ignoriert mich einfach«, meinte sie. »Vielleicht ist es ja auch besser so, denn ich habe keine Ahnung, wie ich mit Jannis Trauer zurechtkommen soll. Ich fürchte, er könnte es nicht verkraften.« Sie setzte sich aufs Bett. »Mein Gott, es ist alles so sinnlos! Jahrelang haben wir uns abgeplagt, um etwas aufzubauen. Und jetzt musste mein Sohn deshalb sterben, während ich noch am Leben bin. Wozu, Sarah?«
»Ich weiß es nicht, Lottie. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie wir weiterleben und die nächsten Tage ohne ihn überstehen sollen. Aber Hannah und Jan brauchen dich. Vielleicht gibt dir das ja einen Sinn.«
»Hannah verschließt sich«, erwiderte Lottie. »Sie ist wütend auf mich, weil ich sie zurücklasse und Jannis Leid wichtiger nehme als ihres. Wahrscheinlich ist dieser Zorn ein Weg, den Tod zu verarbeiten. Aber ich muss gehen, und ich glaube nicht, dass ich es je über mich bringen werde zurückzukehren. Sie jedoch will unbedingt bleiben. Zwischen uns verläuft eine Kluft, und wir schaffen es nicht, sie zu überbrücken. Möglicherweise heilt die Zeit ja Wunden, aber im Moment kann ich dich nur bitten, dich um sie zu kümmern, solange du hier bist. Ich liebe meine Tocher mehr, als ich ihr je werde begreiflich machen können. Doch dieser Ort ist für mich mit zu viel Schmerz behaftet. Ich denke nicht, dass ich in Langani wieder Frieden finden werde. Das ist vorbei.«
Sie stand auf und ging mit Sarah ins Wohnzimmer, wo Hannah ins Kaminfeuer starrte. Ein Glas Brandy stand unberührt neben ihr.
»Komm mit mir, Hannah«, flüsterte Lottie und umarmte ihre Tochter ein letztes Mal. »Komm weg von hier, mein Kind. Nur für eine Weile, bis wir entschieden haben, was aus der Farm werden soll.«
Hannah antwortete, ohne zu zögern. Ihre Miene war unbewegt, und sie wirkte, als wäre sie ganz weit weg. »Meine Entscheidung steht fest, Ma. Ich werde Langani nicht verlassen. Ich muss Piets Werk fortsetzen, um unseren Feinden nicht die Genugtuung zu geben, dass sie zerstören konnten, was wir aufgebaut haben. Ich lasse mich nicht von unserem Land vertreiben.«
Sie wandte sich ab. Nachdem Lottie Sarah rasch umarmt hatte, ging sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinaus zum Wagen, wo der Fahrer schon wartete. Mwangi und Kamau weinten beim Abschied. Dann glitten die Lichtkegel der Scheinwerfer über die Mauern, und schließlich entfernte sich das
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