Himmel uber Langani
Motorengeräusch in die Nacht. Hannah kauerte zusammengesunken auf dem Sofa. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und stieß wimmernde Geräusche aus.
»Hilf mir, sie zu Bett zu bringen, Sarah«, sagte Anthony.
Er setzte sich an Hannahs Bett, sprach mit ihr, ohne dass sie ihn hörte, und hielt ihre Hand, bis sie eingeschlafen war. Sarah stand in der Tür und beobachtete ihn. Hannah mochte sich in seiner Gegenwart getröstet fühlen, doch das Einzige, was Sarah aus ihrem Elend hätte erlösen können, war oben auf dem Berg zu Asche verbrannt. Sie war ganz allein. Sarah drehte sich um und floh aus dem Zimmer. Draußen auf dem Rasen erkannte sie den diensthabenden askari , in einen dicken Mantel gewickelt und das Gewehr in der Hand. Sein Atem stand ihm in dicken Wolken vor dem Mund. Wie eine Schlafwandlerin, die aus einem Traum erwacht, fand sie sich plötzlich in Piets Zimmer wieder, umgeben von seinen persönlichen Dingen, seinen Schulfotos und seinen geliebten Büchern, die er zusammen mit ihr hatte lesen wollen. Sie nahm sein Hemd von der Stuhllehne und zog es über ihre Sachen. Dann legte sie sich aufs Bett und vergrub das Gesicht im Kissen, um noch einmal seinen Geruch zu schnuppern.
Zwei Tage nach der Einäscherung fand in Nanyuki ein Gedenkgottesdienst statt. In den darauf folgenden Wochen schleppte sich Hannah durch die Tage, als lebe sie in einer anderen Welt. Sie vermied es, ans Telefon zu gehen, Fragen zu beantworten oder mit alten Freunden zu sprechen. Lieber verbrachte sie ihre Zeit in der Milchküche, fuhr im Auto auf der Farm umher oder erledigte unwichtige Dinge, die sie sonst einem Dienstboten übertragen hätte. Mike Stead war zwar eine große Hilfe, doch man hatte ihm eine dauerhafte und besser bezahlte Stelle angeboten. Wie er Hannah mitgeteilt hatte, würde er nur noch zwei Monate in Langani bleiben. Von Lars hatte sie kein Wort gehört, und es wies auch nichts darauf hin, dass er von Piets grausamem Tod wusste. Offenbar hatte er sämtliche Brücken nach Kenia abgebrochen, vielleicht um besser über Hannahs Zurückweisung hinwegzukommen oder um seine Zeit in Langani zu vergessen.
Tagsüber arbeiteten Hannah und Sarah wie die Wilden, in der Hoffnung, dass sie abends müde und erschöpft ins Bett fallen würden. Da Sarah sich unbedingt ablenken wollte, versah sie jeden Tag Dienst in der Krankenstation, wo sich die Menschen drängten. Doch angesichts der niederschmetternden Tragödie hatten die Patienten ihre eigenen Beschwerden vergessen und kamen eigentlich nur, um zu kondolieren. Sarah nahm ihre Beileidsbekundungen entgegen, obwohl ihr Schmerz dadurch nur noch wuchs. Jeder wache Moment drohte mit Erinnerungen, die sie aus der Bahn werfen oder ihre ohnehin auf tönernden Füßen stehende Selbstbeherrschung ins Wanken bringen konnten. Die Angst warf ihre langen Schatten auf Tage und Nächte. Selbst bekannte Geräusche ließen sie zusammenschrecken, und alltägliche Worte und Redewendungen klangen auf einmal Unheil verkündend, etwa wenn Hannah mit den seit langem vertrauten Farmarbeitern über die Weizenernte oder das Vieh sprach. Am schlimmsten waren die Nächte, denn Schlaf bedeutete Albträume, die Sarahs schwache Schutzschicht durchbrachen und sie in einen Strudel aus Furcht und Trauer rissen.
Anthony ließ sich bei seiner nächsten Safari von einem Kollegen vertreten und blieb auf der Farm. Er gab sich redlich Mühe, Sarah und Hannah beizustehen, ohne seine Hilfe aufzudrängen. Diese Seite kannte Sarah noch gar nicht an ihm, und sie versuchte, ihm zu zeigen, wie sehr sie seine Anteilnahme zu schätzen wusste. Hannah hingegen schien es gar nicht wahrzunehmen. Sie verhielt sich herablassend, trug eine versteinerte Miene zur Schau und warf mit schnippischen Bemerkungen um sich. Außerdem aß sie fast nichts. Mwangi bemutterte sie nach Kräften, blieb geduldig stehen und murmelte mitfühlend vor sich hin, wenn sie wieder einmal nicht auf eine Frage antwortete oder keine Anstalten machte, sich mit einem von ihm vorgebrachten Anliegen zu beschäftigen. Nach einer Weile übernahm er die Führung des Haushalts und wandte sich an Sarah, wenn er, was selten geschah, einen Rat brauchte. Sarah war erleichtert, sich nützlich machen zu können. Allerdings wusste sie, dass Mwangi und Kamau mit den meisten Arbeiten im Haushalt auch allein zurechtkamen. Deshalb rührte es sie besonders, welche Mühe sich die beiden gaben, damit sie sich gebraucht fühlte. Wenn sie sich im Haus zu schaffen machten,
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