Himmel uber Langani
wegen ihrer Unbeherrschtheit. Als sie das Licht löschte, stand ihr Simons Gesicht vor Augen. Sie erinnerte sich an sein Lächeln, als sie ihm das Buch geschenkt hatte, und das freudige Aufleuchten in seinen Augen. Es waren dieselben Augen, die sich ihr glitzernd zugewandt hatten, während er im Mondlicht seinen Speer nach der Hyäne warf. Die Geräusche der Nacht lösten Beklemmung in ihr aus, und das gedämpfte Rascheln und Knirschen des Hauses, das sie einst so geliebt hatte, machten ihr jetzt Angst. Sarah setzte sich auf und zündete die Kerosinlampe an. Beim Anblick der Schatten im flackernden Licht zuckte sie furchtsam zusammen. Die kalte Nachtluft und ihre eigene Einsamkeit überkamen sie mit einer solchen Wucht, dass ihr der Atem stockte.
Sie sehnte sich nach Piet und wollte seine Stimme hören, sein Gesicht sehen und seine Umarmung spüren. Schließlich erhob sie sich, stand mit geschlossenen Augen am Fenster, stellte sich vor, wie er sie an sich drückte, und hob den Kopf in die Dunkelheit, um sich von ihm küssen zu lassen. Doch schon im nächsten Moment war sie wieder auf dem Berg. Sie sah das grausige Bild vor sich, wie er mit ausgestreckten Armen und Beinen und leeren Augenhöhlen auf dem Boden lag, und erneut stieg ihr der abscheuliche Geruch der angriffslustigen Hyäne in die Nase. Mit einem Aufschrei schlug sie die Hand vor den Mund und befürchtete schon, jemanden geweckt zu haben. Eine Weile verharrte sie zitternd mitten im Zimmer. Dann nahm sie die Lampe und trat hinaus auf die Veranda. Sie nickte dem Nachtwächter zu und ging ins Wohnzimmer, wo sie zum Telefon griff und die Nummer der Vermittlung wählte. An die Wand gelehnt, wartete sie auf die Verbindung und wünschte mit aller Macht, jemand möge zu Hause sein.
»Hallo?« Die Stimme klang zwar schläfrig, aber der Akzent war unverkennbar. Deirdre. Nicht unbedingt der Mensch, mit dem sie jetzt sprechen wollte. Sarahs Stimme zitterte, als sie versuchte zu antworten.
»Deirdre, ich bin es, Sarah. Ich muss mit Mum oder Dad reden. Oder mit Tim, falls sie nicht da sind. Mit irgendjemandem.« Bitte, schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel. Bitte lass einen von ihnen da sein und ans Telefon kommen.
»Sie schlafen alle, Sarah. Es ist ein Uhr morgens.«
O Gott, verschon mich mit lächerlichen Kleinigkeiten wie der Uhrzeit und hol endlich jemanden! »Hier ist es drei.«
»Drei! Alles in Ordnung, Sarah? Du hörst dich gar nicht gut an.«
»Bitte hol jemanden ans Telefon.«
»Moment.«
Sarah wartete. Mit der einen Hand hielt sie sich an der Wand fest, die andere umklammerte den Hörer und nestelte an dem Kabel, das sie mit ihrem Rettungsanker verband, so weit entfernt dieser auch sein mochte.
»Sarah? Was ist los, Kleines?« Es war Tims vertraute Stimme. »Was hast du denn?«
»Tim?« Sie schluchzte vor Erleichterung auf. »Tim, ich habe ständig Albträume, sogar wenn ich hellwach bin. Ich halte das nicht mehr aus. Ich ertrage es nicht mehr, und ich fürchte, dass ich kurz davor stehen könnte, dem allen ein Ende zu machen. Ich weiß, wie schrecklich sich das anhört, aber so fühle ich nun einmal. Ich kann nicht mehr. Bitte, Tim, hilf mir. Sprich mit mir und hilf mir.«
Sie wurde ruhiger, als er er sie mit liebevollen Worten zu trösten versuchte. Anstatt sie zu überreden, nach Hause zu kommen, gab er sich Mühe, ihr Gleichgewicht wiederherzustellen und sie vom Rand des Abgrunds wegzuziehen, an dem sie stand. Danach sprachen auch Raphael und Betty aufmunternd mit ihr, und nach einer Weile unterhielten sie sich über die Ereignisse der letzten Zeit. Als Sarah schließlich auflegte, hatte sie sich ausgeweint. Auch wenn sie sich nicht an den genauen Wortlaut des Gesprächs erinnern konnte, fühlte sie sich nun ausreichend gestärkt, um den nächsten Tag und vielleicht auch den übernächsten in Angriff zu nehmen. Immer einen Schritt nach dem anderen. Das war zwar nicht unbedingt ein Idealzustand, ermöglichte aber wenigstens das Überleben. Und damit musste sie sich im Moment zufrieden geben.
Langsam spielte sich der Alltag wieder ein, und Sarah war von früh bis spät beschäftigt. Mike Stead bemühte sich zwar nach Kräften, Hannah zu unterstützen und die Farm am Laufen zu halten, doch ihm fehlten die Liebe zum Detail und das persönliche Engagement, die Lars in Langani eingebracht hatte. Als Sarah eines Nachmittags ins Büro kam, saß Hannah mit einem Stapel Rechnungen neben ihrem Verwalter.
»Ich wollte Sie zurzeit eigentlich nicht mit
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