Himmel uber Langani
genau ins Gedächtnis, wobei sie sich deren Farbe, Form und Standort vor Augen führte. Das Haus wollte sie sich nicht vorstellen, denn das würde sie an die Menschen dort erinnern, und sie wollte jetzt an niemanden denken. Als das Flugzeug endlich abhob, lehnte sie den Bordservice ab, schloss die Augen und schlief.
Am Flughafen Embakasi stellte sie fest, dass sie nicht mehr viel Geld übrig hatte. Vor dem Terminal standen Taxis bereit, aber sie beschloss, den Bus zu nehmen. Der Fahrer und die Passagiere starrten sie neugierig an. Weiße Memsahibs fuhren nicht mit dem Bus, und schon gar nicht allein. Sie sprach Suaheli, als sie die Fahrkarte bezahlte, und freute sich, als sie mit einem anerkennenden Lächeln dafür belohnt wurde. Ein kleines toto setzte sich neben sie und sah ihr mit leuchtenden Augen ins Gesicht. Vorsichtig streckte der Junge den Arm aus und berührte sie, und sie nahm seine kleine Hand in ihre. Dann rückte sie ihre Sonnenbrille zurück und sah durch das Fenster in die gleißende Sonne. Der Bus rumpelte schwankend mit seiner Ladung von dicht aneinander gedrängten Menschen die Straße entlang. Mit jeder Station wurden es mehr.
Im Norfolk Hotel ging sie zur Rezeption und bat darum, ein vom Empfänger bezahltes Telefonat führen zu dürfen. Völlig erschöpft wartete sie in der kleinen getäfelten Telefonzelle, bis sie den durchdringenden Schnarrton am anderen Ende der Leitung hörte. Ihre Verzweiflung wuchs, als sich eine fremde Stimme meldete.
»Lars Olsen? Sind Sie das, Lars? Ich möchte Piet sprechen. Ist er da? Was sagen Sie?« Ihre Stimme klang nervös vor Ungeduld und Übermüdung. »Hier ist Hannah, seine Schwester. Können Sie ihn bitte holen? Es ist dringend.«
Die Sekunden schienen sich endlos hinzuziehen. Dann ertönte eine vertraute Stimme.
»Han? Wo bist du? Ma ist vor Sorge fast verrückt geworden. Wo zum Teufel steckst du?«
Hannah umklammerte den Telefonhörer. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, was sie getan hatte, und ihr Mut schwand.
»Piet? Ich bin im Norfolk.« Sie begann zu schluchzen. »Kannst du kommen und mich abholen, Piet? Ich will nach Hause.«
Kapitel 8
London, Mai 1965
N ach ihrem zweiten Vorsprechen war Camilla sich sicher gewesen, dass sie im Herbst die Schauspielschule besuchen würde. Am Abend war sie mit Ricky Lane ausgegangen, um zu feiern, und sie konnte sich kaum daran erinnern, wie sie nach Hause gekommen war. Nach wiederholten Versuchen, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, waren sie vor Lachen im Treppenhaus auf dem Boden gelandet. Dann hatte sie seine Annäherungsversuche abgewehrt und fest entschlossen die Tür von innen zugesperrt. Vollständig bekleidet hatte sie sich auf ihr Bett fallen lassen und zehn Stunden durchgeschlafen. Drei Tage später kam sie von einem langen Modeshooting zurück und fand den Brief. Sie las ihn zweimal und eine Woge der Verzweiflung schlug über ihr zusammen, als sie einsam auf ihrem Sofa saß. Tränen der Erniedrigung liefen ihr über das Gesicht. Gepeinigt von dieser Abweisung und dem Gedanken an ihre eigene Arroganz, schenkte sie sich einen Wodka mit Eis ein. Sie war so von sich überzeugt gewesen, und nun musste sie den Preis für ihren Hochmut bezahlen.
Sarah konnte sie nicht anrufen – davor hatte sie Angst. Das schwarze Telefon stand auf einem polierten Tischchen und schien sie anklagend anzublicken. Nach Ostern hatte sie einen förmlichen Dankesbrief aus Dublin erhalten. Seitdem hatten sie keinen Kontakt mehr miteinander gehabt. Weder Sarah noch Tim hatten ihre Reaktion auf Marinas Verhalten an diesem schrecklichen Abend verstanden. Camilla wusste, es war unverzeihlich, wie sie Piet behandelt hatte, und sie bedauerte die gedankenlosen Worte zutiefst, die sie in dem endlosen Kampf mit ihrer Mutter als Waffe eingesetzt hatte. Aber sie hatte das Gefühl, dass Sarah zumindest versucht hatte, sie zu verstehen. Jedes Mal, wenn sie an diesen Abend dachte, erinnerte Camilla sich an die blassen, mit Juwelen geschmückten Finger ihrer Mutter, die sich um den Hals des Schwarzen geschlungen hatten. Sie sah es noch deutlich vor sich, wie kraftvoll und besitzergreifend er sie in seinen Armen gehalten hatte, als sie mit ihrem langsamen, sinnlichen Tanz ihr Begehren und ihre Intimität zur Schau gestellt hatten. Sie konnte diese unbekümmerte Offenbarung nicht ertragen, und sie wusste, dass eine so öffentlich ausgelebte Affäre sehr unangenehme Konsequenzen für einen Diplomaten im Auswärtigen Amt haben konnte. Camilla
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