Himmel uber Langani
dass sie ihn liebte, aber sie war sich nicht mehr sicher, ob das noch der Fall war. Wie konnte man jemanden lieben, der das Glück einer ganzen Familie aufs Spiel gesetzt hatte?
Lottie hatte zu nähen begonnen. Darin war sie schon immer geschickt gewesen, und nun nahm sie Aufträge aus der Nachbarschaft an, um ein wenig Geld dazuzuverdienen. Sie machte auch Marmelade ein und verkaufte sie samstags auf dem Markt. Und sie buk Gebäck und Kuchen für ein Café in der Nähe. Zwar war sie ständig müde, aber für die Kunden, die an ihrem Stand etwas kauften, setzte sie stets ein strahlendes Lächeln auf. Hannah fühlte sich beschämt, wenn sie ihre Mutter bei all den zusätzlichen Aufgaben beobachtete, während ihr Vater mit einem Bier oder einem Whisky am Küchentisch hockte. Er verließ jeden Morgen das Haus, um nach der Ernte zu sehen und die Lagerhäuser für die Tabakpflanzen zu inspizieren. Mittags kam er schwitzend und mit gerötetem Gesicht zurück, nahm sich eine Flasche und schimpfte auf die Kaffern, die sich auf den Feldern abplagten. Auf Langani hatte er seine Arbeiter immer gut behandelt. Hier wirkte er aggressiv und herrisch, und die Männer wichen seinem Blick aus, wenn er seine Befehle brüllte. Wenn er auf Patrouille war, fühlte Hannah sich schuldig, weil seine Abwesenheit sie mit Erleichterung erfüllte. Gleichzeitig sorgte sie sich um seine Sicherheit. Einmal hatte jemand auf ihn geschossen. An dem Lastwagen, mit dem er unterwegs gewesen war, sah man immer noch die Einschusslöcher.
Sie fragte Lottie, ob sie als Kellnerin im Café arbeiten könne und schämte sich, als sie den Ausdruck von Dankbarkeit in den Augen ihrer Mutter sah. Ihr Angebot war keineswegs so großherzig, wie es sich anhörte. Sie wünschte sich nur sehnlichst, aus dem Haus zu kommen. Und es war ihr peinlich, ihre Mutter an ihrem Marktstand stehen zu sehen, wo sie mit einem gezwungenen Lächeln vierschrötige Farmer und deren Frauen oder gut gekleidete Städterinnen bediente und sich von Kindern Frechheiten gefallen lassen musste. Aber Lottie strich ihrer Tochter sanft über die Wange.
»Nein, Liebes. Ich möchte, dass du dich auf dein Studium konzentrierst, Hannah. Nichts soll dich davon ablenken. Zuerst machst du dein Diplom, danach habe ich Pläne für dich.« Lottie öffnete eine Schublade der Anrichte und zog eine alte Schachtel heraus.
»Pa weiß nichts davon. Wenn er es wüsste …« Sie zögerte. »Na ja, du weißt, was er damit machen würde. Alles, was ich nebenbei verdiene, lege ich für dich auf die Seite. Wenn du deinen Kurs beendet hast, schicke ich dich auf die Universität in Johannesburg. Du kannst studieren, was du willst, und während dieser Zeit bei meinem Bruder wohnen. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich das Geld zusammenhabe. Hab noch ein wenig Geduld.«
Lottie schob sich mit einer müden Geste das Haar aus der Stirn. In dem Lichtstrahl, der ins Zimmer fiel, entdeckte Hannah Falten auf dem Gesicht ihrer Mutter, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Tränen brannten ihr in den Augen. Am liebsten hätte sie Lottie angeschrien und ihr gesagt, dass sie keine Schuld an der Plackerei ihrer eigenen Mutter haben wolle. Was bedeutete ihr ein Studium in Johannesburg? Sie wollte nur, dass alles wieder werden würde wie früher. Keine noch so große Summe hart verdienten Geldes würde ihr das Leben hier erleichtern. Sie warf einen Blick auf den zerkratzten Deckel der Blechschachtel, die die Träume ihrer Mutter für sie bargen, und wandte sich dann ab. Ihr Schuldgefühl bereitete ihr Übelkeit.
Drei Wochen später, Lottie war gerade auf dem Markt, hörte Hannah den Postboten kommen. Rasch lief sie zum Briefkasten und entdeckte einen Brief mit einer kenianischen Briefmarke. Piet! Piet war wieder zu Hause! Sie riss das Kuvert auf und begann zu lesen.
Liebe Ma, lieber Pa und liebe Hannah,
gestern bin ich zurückgekommen. Es ist herrlich, wieder zu Hause zu sein. Lars hat sich gut um alles gekümmert, und die Farm sieht großartig aus. Wir haben fünf Ochsen zu einem annehmbaren Preis verkauft, und der Weizen macht sich heuer gut. Lars hat sich bewährt, und ich würde ihn gern noch behalten. Zumindest bis ich das Wildreservat und die Lodge aufgebaut habe, könnte ich seine Hilfe gebrauchen. Ihm scheint es hier zu gefallen, und ich kann mich wirklich nicht um alles selbst kümmern. Ich denke, dass wir nun mit dem Bau der Lodge beginnen sollten. Es wird unser Einkommen erhöhen und dazu beitragen, der Farm über
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