Himmel über Darjeeling
Shushila gern etwas schenken.« Der Einfall war ihr schon auf dem Hinweg gekommen, aber erst jetzt fühlte sie sich mutig genug dafür. »Weißt du, was ihr gefallen könnte?«
Ian sah sie verblüfft an, und Helena spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie wartete auf eine Reaktion Ians, aber als keine kam, musterte sie ihn vorsichtig aus den Augenwinkeln. Für einen Augenblick hatte sie den Eindruck, er fühlte sich unwohl in seiner Haut – und blitzartig begriff sie, dass er bis zu diesem Moment nichts von dem Gespräch zwischen den beiden Frauen gewusst hatte, jetzt aber eine Ahnung davon zu bekommen schien – er, der sonst immer alles wusste. Für Helena war es wie ein kleiner Triumph, der sie sich stärker und ihm vielleicht zum ersten Mal gewachsen fühlen ließ.
»Rubine«, murmelte er, »sie mag Rubine«, und er wirkte wie ein Schuljunge, der sich auf frischer Tat ertappt fühlte.
Helena ließ sich viele Stücke zeigen, versuchte sich danach zu richten, was ihr selbst gefiel, wie auch danach, wovon sie glaubte, dass es Shushilas Geschmack treffen könnte. Sie war zu sehr vertieft in das Sichten der Auswahl, als dass sie hätte merken können, wie eindringlich Ian ihr dabei zusah. Schließlich entschied sie sich für zwei Armreifen mit Reliefmustern, ein Armband mit Rubinsplittern und ein Paar passender Ohrringe, und großzügig rundete der Händler den Preis nach unten ab, weil er Gefallen an dieser Memsahib gefunden hatte, die ihn so gar nicht von oben herab behandelte, sogar noch fließend auf Hindustani mit ihm sprach. Als sie das Päckchen entgegennahm und Ian dem Goldschmied die Geldscheine hinhielt, hörte sie ihn leise über ihre Schulter sagen: »Manchmal bist du mir ein Rätsel.«
Sie sah ihn mit einem schelmischen Lächeln an. »Nur manchmal? Für all die Male, die ich das von dir schon gedacht habe, habe ich noch einiges gut!«
Ian antwortete nicht darauf; aber die Art, wie sich seine Mundwinkel vergnügt kräuselten, wie seine Augen in diesem Augenblick leuchteten, ließ ihr Herz einen freudigen Sprung machen.
21
D ie Tage vergingen wie im Flug. Die ersten Pakete aus der Schneiderei der Wangs waren eingetroffen, und Helena war dazu übergegangen, die schlichten, nichtsdestoweniger schönen Kleider aus Kaliko tagsüber im Haus zu tragen. Für Ausritte oder die Arbeit im Garten blieben Hemd, Hosen und Stiefel vorbehalten – sie würde sich nie an den unsicheren Damensitz auf dem Rücken eines Pferdes gewöhnen. Und abends, in den wenigen freien Stunden, trug sie wie selbstverständlich den Sari, in dem sie sich frei bewegen konnte, sich so weiblich und sinnlich fühlte wie in keinem der engen Kleider.
Helena eilte zwischen Küche, Wäsche- und Vorratskammer hin und her, denn vor der Ernte wollte sie das Haus blitzsauber wissen, Wäsche, Silber, Geschirr durchgesehen, Schadhaftes oder Fehlendes ersetzt, Fleckiges blank geputzt haben, und zwischendurch machte sie immer wieder einen Abstecher in den Garten, wo sie mit dem Chefgärtner zusammen plante, im Gewächshaus Stecklinge und vorgezogene Pflänzchen aussuchte, Saatkataloge wälzte und sich nicht selten mit ihm in die Haare geriet, weil er ihre Wünsche für undurchführbar hielt.
»Rosen«, schnaubte der Gärtner. »Memsahib, bei allem Respekt – Rosen! Rhododendron, ja – aber Rosen!«
»Jawohl,Rosen, Vikram! Wenn sie in England gedeihen, dann hier erst recht! Rhododendron haben wir weiß Gott genug«, widersprach sie hitzig und deutete auf eine Stelle neben der Treppe zur Veranda. »Und hier will ich Mohn haben.«
»Mohn?« Vikrams Stimme überschlug sich. »Memsahib, Mohn ist ein Unkraut!«
»Für mich nicht. Hier kommt Mohn hin, Ende der Diskussion!« Energisch stapfte sie die Stufen hoch und verschwand im Haus.
Vikram lehnte sich auf seinen Spaten und kratzte sich grinsend in seinem struppigen Bart. Eine famose Memsahib hatte sein Herr da aus England mitgebracht! Sie wusste, was sie wollte, und setzte das unbeirrt durch, ohne je hochnäsig oder ausfallend zu werden. Stolz prahlte er mit seiner neuen Herrin, wenn er bei Besorgungen in der Stadt einen oder mehrere seiner Bekannten traf, die bei einem der anderen Pflanzer in Lohn standen, und der Neid, der ihnen dann angesichts ihrer eigenen zänkischen und launischen Mems ins Gesicht geschrieben stand, versetzte ihn in Hochstimmung. Natürlich würde sie ihre Rosen und ihren Mohn bekommen – Verhandeln und Streiten gehörten genauso zu seiner Arbeit wie Jäten,
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