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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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schließlich, und kaltes Grauen drückte seine Eingeweide zusammen.
    Der ehemalige sepoy von Winston zeigte ein breites, zahnloses Grinsen in seinem zerbeulten, vernarbten Gesicht.
    »Schön, dass Ihr mich wiedererkannt habt, Prinz Mohan.« Das gesunde Auge funkelte voll abgrundtiefen Hasses. »Wie ihr seht, bin ich von den Toten auferstanden. Die Leibärzte des Raja haben mich wieder zusammengeflickt und das jedes Mal aufs Neue, wenn mich seine Männer gefoltert hatten, um euren Aufenthaltsort preiszugeben.« Bábú Sa’íd ließ seinen Blick über sie schweifen, bis er an Winston hängen blieb. »Ich wusste ihn leider nicht, sonst hätte ich euch mit Vergnügen verraten, so wie ihr mich verraten habt, als ihr mich in der Wüste zurückließt.« Er senkte seine Arme, stand gänzlich entspannt da, und es war, als befänden sie sich im stillen Auge eines Wirbelsturms. »Ich war mir aber sicher, dass ihr euch irgendwann nach Delhi bewegen würdet. Wo schließlich kann man sich besser verbergen als an einem Ort, der von Menschen nur so wimmelt? Und welch glücklicher Zufall«, er wies auf das Tohuwabohu hinter und neben ihnen, »dass ich euch hier und heute begegne. So kann ich mir die Mühe sparen, weiterhin nach euch Ausschau zu halten. Ich muss euch nicht einmal dem Raja oder seinen Kriegern übergeben – ich kann euch ganz einfach verschwinden
lassen.«
    »Bábú Sa’íd«, begann Mohan vorsichtig, fieberhaft überlegend, wie sie schnell genug fortkommen konnten, ohne Sitara zu gefährden, doch Bábú Sa’íd hörte ihm gar nicht zu, betrachtete nachdenklich Ian und sprach mehr zu sich selbst als zu Winston.
    »Dein Sohn, nicht wahr? Ein hübscher Junge. Sicher dein ganzer Stolz.«
    Schneller, als jeder es dem verkrüppelten Mann zugetraut hätte, machte er einen Satz nach vorne, packte Ian in eiserner Umklammerung und drückte die Klinge des Säbels an die Kehle des Jungen. Schelmisch sah er Winston und Mohan an, die wie gelähmt dastanden.
    »Was meint ihr – soll ich mit ihm den Anfang machen?«
    Mohan wusste, er hatte keine Chance, außer ein wenig Zeit zu gewinnen.
    Langsam ließ er die heulende Emily zu Boden, die sich sofort an den Saum von Sitaras kurta klammerte und an ihre Mutter drückte. Unsanft packte Mohan seine Schwester, der Tränen der Angst in einem unablässigen Strom aus den Augen liefen, und schubste sie und Emily beiseite, in Richtung der Straßenmitte, wo die beiden sich aneinander klammerten und schreckensstarr zu ihnen herübersahen.
    »Bábú Sa’íd«, begann Mohan vorsichtig, die Haltung des sepoys genau studierend, in der Hoffnung, einen Schwachpunkt zu finden, um Ian aus dessen Griff befreien zu können, »der Junge kann am wenigsten für das, was damals geschehen ist. Lass ihn gehen – bitte …«
    Es war halb vier Uhr nachmittags. Seit dem frühen Morgen hatten sich Lieutenant George Willoughby und acht seiner Männer im Pulvermagazin hinter dem Friedhof verschanzt. Sie wussten, es war nur eine Frage der Zeit, bis die Rebellen versuchen würden, an die Munition zu gelangen, und sie waren schlecht für einen Angriff gerüstet: neun Sechspfünder und eine vierundzwanzigpfündige Haubitze vor dem Bürogebäude – nicht genug, um einem Ansturm der sepoys in ihrer Raserei standzuhalten. Dass die Munition den Aufständischen in die Hände fiel, musste um jeden Preis verhindert werden, sollte es sie auch ihr Leben kosten. Schnurgerade rannen rußige Streifen Schießpulvers von dem verkümmerten Zitronenbaum in der Mitte des Hofs bis in das Herz des Arsenals, während sie warteten – auf Erlösung durch die Truppen der ein paar Meilen von der Stadt entfernten Garnison oder durch die Ausführung ihres Himmelfahrtskommandos.
    Durch das Heulen des Mobs in der Stadt, das sie in den langen Stunden begleitet hatte, drang ein neues Geräusch, das von Eisen auf Stein. Über den Mauern konnten sie bereits die Köpfe der Rebellen erkennen, die sich mit eisenverstärkten Leitern daran machten, ins Magazin zu dringen. Willoughbys rechte Hand, Lieutenant George Forrest, und Conductor Buckley feuerten mit Kartätschen aus einem der Sechspfünder, schlugen breite Schneisen in die Reihen der Aufständischen, die sich mit Gewehrfeuer revanchierten. Die ersten Kugeln flogen den Engländern um die Ohren, zwei seiner Männer schrien getroffen auf, dann rief Willoughby: »Jetzt, bitte!«, und Buckley hob wie verabredet zum Zeichen, dass er verstanden hatte, in einer ironischen Geste seinen Hut. Fauchend

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