Himmel über Darjeeling
Witterung er dann doch wieder verloren hatte.
Auch wenn Ian selbst nicht immer vordergründig in Erscheinung trat, richtete er es doch jedes Mal so ein, dass er zugegen war, wenn sein Opfer den entscheidenden Stoß erhielt, und dass manche Situationen eskalierten, einen weitaus gravierenderen Verlauf nahmen als ursprünglich von ihm beabsichtigt, nahm er billigend in Kauf. Er wusste, es war ein riskantes Spiel, das er da trieb, das ihn durch einen dummen Zufall selbst mit ins Verderben stürzen konnte, aber auch das schien er ungerührt hinzunehmen.
Ian genoss das Leben in vollen Zügen in seinem Tanz auf dem Vulkan, und er konnte es sich leisten. Tientsin war ein großartiger Lehrmeister gewesen – in Kalkutta und London riss man sich um den Tee von Shikhara, und die Großhändler der Mincing Lane überboten sich gegenseitig bis in schwindelerregende Höhen, um sich ein paar der unscheinbaren Holzkisten zu sichern. Dem Haus auf Shikhara mit dem dazugehörigen Personal folgte eines in London, am eleganten Grosvenor Square, und eines in Kalkutta, eigene Kutschen, ein eigener Eisenbahnwagen, schließlich die Kalika , in einer Londoner Werft nach dem neuesten Stand der Technik gebaut. Mohan wurde manchmal richtiggehend schwindlig angesichts des Tempos, mit dem Ian vorwärts preschte, nach der ersten Ernte im April 1873.
Er machte sich den rasanten technischen Fortschritt seiner Zeit zunutze – Eisenbahn, Dampfschiff, Telegraph –, sprang auf der Weltkarte hin und her, von Shikhara nach Kalkutta, von Kalkutta nach Surya Mahal, von Surya Mahal nach Jaipur oder Bombay, von dort nach London und wieder zurück nach Indien. Doch wohin Ian auch ging – Mohan folgte ihm wie sein Schatten.
Sein Ruf als vermögender Teebaron, seine auffällige und elegante Erscheinung, der Charme, den er durchaus an den Tag legen konnte, wenn es ihm darauf ankam – sie öffneten Ian rasch die sonst so eisern gegen Emporkömmlinge verschlossenen Türen der Gesellschaft. Er nahm sich die Frauen, die ihm gefielen, und sie machten es ihm leicht. Vor allem verheiratete Frauen der englischen Oberschicht hatten es ihm angetan; diese waren zwangsläufig ebenso auf Diskretion bedacht wie er, und so konnte er sich ihrer leicht entledigen, wenn er genug hatte, ohne unangenehme Konsequenzen fürchten zu müssen. Er war ein geschickter Täuscher, und sie ließen sich alle nur zu gern täuschen, geblendet von seinem Auftreten, seinem Vermögen. Ian Neville verfügte über die größte Macht – die Macht des Geldes, und dessen war er sich bewusst.
»Ah, Sophia, da bist du ja«, drang Sir Henrys sonore Stimme über die Köpfe der umstehenden Ladys und Gentlemen hinweg, durch das Gesumme der redseligen Gesellschaft und die unaufdringlichen Melodien des Streichquartetts. »Darf ich bekannt machen – meine Gattin, Lady Sophia. Stell dir vor, Liebes, das «, er klopfte dem jüngeren Mann neben sich jovial auf die Schulter, »das ist der Mann, von dessen Tee ich dir vorgeschwärmt habe. Mr. Ian Neville aus Darjeeling. Wir haben uns eben über Indien unterhalten – das gute alte Indien, damals, unter Lord Canning …«
»Sehr erfreut«, gurrte Lady Sophia und reckte ihrem Gegenüber graziös ihre Rechte in dem ellenbogenlangen Seidenhandschuh entgegen.
»Mylady, es ist mir eine Ehre«, murmelte Ian Neville mit seiner tiefen Stimme, die Lady Sophia an den purpurfarbenen Samt denken ließ, den sie heute Nachmittag in der Savile Row bestellt hatte, und die Art und Weise, wie er ihre Hand berührte, seine Lippen unter dem dunklen Oberlippenbart ihren Handrücken streiften, ließen wohlige Schauer über ihren Rücken rieseln. Während sie die üblichen Höflichkeitsfragen nach seinem Befinden, der Dauer seines Aufenthaltes und seiner Beziehung zu den Gastgebern herabrasselte, musterte sie den jungen Mann eindringlich. Ein Pflanzer? »Niemals«,stellte sie für sich fest, »ohne Zweifel ein Gentleman, der dieses Teegeschäft aus Liebhaberei betreibt und dadurch nebenbei noch sein Vermögen vergrößert.« In jedem Fall, so entschied sie aufgrund seiner Erscheinung, seines Auftretens und seiner Redeweise, sollte sich eine nähere Bekanntschaft durchaus lohnen. Sie setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf.
»Wir kommen ein paarmal im Jahr nach London. Bei uns in Cornwall ist es ja so fürchterlich still! Waren Sie schon einmal in Cornwall, Mr. Neville? Nein? Oh, das sollten Sie einmal gesehen haben. Ach, Mr. Neville, haben Sie schon die Bekanntschaft meiner
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