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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Jahr brauchten die Soldaten, um Kala Nandiaufzuspüren, und in der Wüste Rajputanas ging er ihnen in die Falle, an einer Stelle hinter Jaipur, die keine hundert Meilen von Surya Mahal entfernt war. Bis zuletzt weigerte er sich, selbst unter »Verschärften Verhörmaßnahmen«, seine englische Identität preiszugeben, beharrte auf dem Namen Kala Nandi, gab aber »bereitwillig und mit widerwärtigem Stolz« zu, die ihm zugeschriebenen Bluttaten begangen zu haben, aus »Rache für seine Familie, die durch britische Hand umgekommen sein soll« . An Ort und Stelle unter Kriegsrecht als Rebell, Verräter und Mörder verurteilt, wurde ein verdorrter Feigenbaum zu seinem Galgen, sein Leichnam irgendwo im staubigen Boden verscharrt. »Mission erfüllt, den 27. Oktober 1858.«
    »Mission erfüllt«, murmelte Mohan Tajid mechanisch, als er die letzten Zeilen las, dann ließ er das umfangreiche Schreiben sinken und starrte wie betäubt in das Kaminfeuer. Er brauchte einige Momente, um alles in seiner Gesamtheit zu begreifen, und beinahe hätte er laut losgelacht, als er die Ironie darin erkannte: Winston, der als Soldat der Company nie getötet hatte, der so erschüttert gewesen war, als Mohan und Sitara während ihrer Flucht die beiden Rajputen in der nächtlichen Gasse umgebracht hatten, war zum blutrünstigen Mörder geworden, um seine Familie zu rächen.
    »Vielleicht hätte aus ihm sogar ein großer Krieger werden können, mit der Zeit«, hatte der alte Raja über Winston gesagt. Und er hatte Recht gehabt – mit dem Aufstand war die Zeit gekommen, Winston zum Krieger zu machen, in seinem eigenen Krieg, gegen sein eigenes Volk. Am meisten schmerzte ihn, dass Winston offensichtlich versucht hatte, auf Surya Mahal Zuflucht zu suchen. Ein paar Tage, und er wäre in Sicherheit gewesen, wieder mit seinem Sohn vereint.
    Mohan sah hinüber zu Ian, der wie er vor dem Kamin saß und in das Feuer blickte, unbeweglich, wie versteinert.
    »Wenigstens kannst du jetzt annehmen, dass er dich suchen wollte«, sagte Mohan behutsam, in dem Versuch, Ian Trost zu spenden. Doch er merkte selbst, wie schwach dieser war, und Ian reagierte nicht darauf, starrte weiterhin regungslos ins Feuer. Mohan tat es ihm gleich, und eine Weile saßen sie so schweigend nebeneinander, und außer dem Regen, der prasselnd ans Fenster schlug und dem Knistern im Kamin war nichts zu hören.
    »Sie werden dafür bezahlen.«
    Mohan sah auf. Noch immer starrte Ian in die Flammen, aber seine Hand auf der Armlehne des Stuhles war zur Faust geballt. »Jeder Einzelne von ihnen.«
    Endlich wandte Ian sein Gesicht Mohan zu. Mohan hatte geglaubt, dass ihn in seinem Leben nichts mehr erschrecken konnte, doch der blanke, nahezu unmenschliche Hass, der ihm aus Ians Augen entgegensprang, erfüllte ihn mit Entsetzen, und der Widerschein des Feuers ließ Ians Gesicht wie das eines Dämons erscheinen.
    »Ich werde sie jagen, wie sie meinen Vater gejagt haben, und ich werde jeden Einzelnen von ihnen vernichten.«
    »Du bist wahnsinnig«, entfuhr es Mohan unwillkürlich.
    »Nein, Mohan«, Ian erhob sich langsam, nahm sein Zigarettenetui vom Kaminsims und zündete sich eine Zigarette an, blies geräuschvoll den Qualm aus, »ich tue nur, was mich Ajit gelehrt hat. Was mich der Raja gelehrt hat. Und wenn du ein echter Rajpute bist, dann hilfst du mir dabei.«
    Mohan senkte den Blick auf die beschriebenen Bögen, die er noch immer in der Hand hielt. »… namentlich die Gefreiten Thomas Cripps, Richard Deacon, Edward Fox, Robert Franklin, James Haldane, die Lieutenants Tobias Bingham, Samuel Greenwood, Leslie Mallory, unter Führung von  Oberst Henry Claydon …« Neun Männer, die irgendwo immer noch ihren Dienst für die britische Krone taten, Ehemänner waren, vielleicht Väter.
    »Was willst du tun? Jeden zum Duell fordern oder hinterrücks ermorden?«
    Ian lehnte sich an die Kaminbrüstung und sah Mohan durch den dichten Rauch hindurch an.
    »Nein. Jeder Mensch hat eine schwache Stelle. Die werde ich herausfinden und im richtigen Augenblick zuschlagen.«
    »Das kann Jahre dauern!«
    Ian schwieg einen Augenblick, sah an Mohan vorbei in das Halbdunkel des Raumes.
    »Das ist mir gleich.« Er sog den Qualm der Zigarette tief ein. »Ajit hat mich einmal einen alten Vers auswendig lernen lassen: Gib dich nicht dem Gedanken an Rache hin, bevor du sie nicht üben kannst – die Kichererbse, die beim Rösten in der Pfanne auf und ab springt, zerbricht trotzdem das Eisen nicht. Ich habe ihn

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