Himmel über Darjeeling
nie vergessen, als hätte ich es all die Jahre geahnt, dass ich eines Tages danach würde handeln müssen.« Er schnipste den Zigarettenstummel in das Feuer und sah seinen Onkel unverwandt an. »Also, Mohan, entweder du gehst mit mir diesen Pfad – oder unsere Wege trennen sich hier.«
Mohan überlief es kalt, als es ihm in diesem Augenblick durch den Kopf schoss: shikar und shikari – Jagd und Jäger.
In strömendem Regen brachen sie am nächsten Morgen auf, hinauf in die Berge. Und als Ian sich am steinernen lingam Shivas in die Haut ritzte und dem Gott der Rache bei seinem Blut, halb indisch, halb englisch, schwor, nicht eher zu ruhen, bis der unehrenhafte Tod seines Vaters gesühnt worden sei, verstand Mohan Tajid, was die Christen meinten, wenn sie sagten, jemand verschreibe seine Seele dem Teufel.
22
W ährend im Wechsel der Jahreszeiten, unter Sonne und Regen, frische Triebe aus den Teesträuchern sprossen, immer wieder aufs Neue, nachdem sie in regelmäßigen Abständen zurückgeschnitten wurden, bis sie ihre charakteristische breite Krone entwickelt hatten; während in ihren Blättern das Aroma des künftigen Tees reifte, reiften in Ian die Pläne zur Vernichtung der Mörder seines Vaters. Drei Jahre brauchte es vom ersten Stutzen der Sträucher bis zur ersten Ernte, und drei Jahre brauchte es, bis die Männer von Oberst Claydon ausfindig gemacht waren, teils in Indien, teils in England. Drei Jahre, bis Ian wusste, wo ihre wunden Punkte lagen, bis er sich für jeden Einzelnen einen geschickt eingefädelten Plan zurechtgelegt hatte, um ihn genau dort zu treffen und zu zerstören. Er ließ sich Zeit, kostete jeden Moment der Vorbereitung aus und wartete auf den richtigen Augenblick – und er wusste, er würde kommen, für jeden der neun Männer. Kaltblütig und wohlkalkuliert ging er dabei vor, umkreiste sein jeweiliges Opfer so lange, höchstpersönlich oder durch gut bezahlte Agenten, bis es in die Falle tappte, die Ian kunstvoll aufgestellt hatte, und dabei wechselte er seine Identitäten, indische wie englische, so mühelos wie seine maßgeschneiderten Anzüge.
James Haldane war der Erste; ihn spürte Ian im September 1873 in einer Opiumhöhle in Bombay auf. Die beiden Männer kamen ins Gespräch, verbrachten einen höchst vergnüglichen Abend miteinander, in dessen Verlauf Haldane auf den seidenen Kissen selig entschlummerte, aber aus diesem Schlaf nicht mehr erwachte, da er sich wohl in der Dosis seiner Pfeife verschätzt hatte.
Thomas Cripps erhängte sich, nachdem er bei einem illegalen Glücksspiel sein gesamtes Hab und Gut an einen Fremden verloren hatte, an dessen Namen sich im schummrigen Hinterzimmer niemand mehr erinnern konnte.
Ein ähnliches Schicksal ereilte Leslie Mallory, der sich daraufhin dem Suff ergab, was eine unehrenhafte Entlassung aus der Armee zur Folge hatte, worauf ihn wiederum seine Familie verstieß.
Emma Franklin hatte eine Affäre, die durch einen anonymen Hinweis aufflog; da der betreffende Gentleman sich ihr unter falschem Namen vorgestellt hatte und dadurch unauffindbar war, griff Robert Franklin, ohnehin von eifersüchtiger Natur, zu seiner Dienstwaffe, erschoss seine hübsche rothaarige Frau und anschließend sich selbst.
Tobias Bingham begann Stimmen zu hören und wurde von seinen Verwandten in einem Sanatorium untergebracht; wie es hieß, gab es keine Hoffnung auf Besserung.
Einige Sahibs gerieten in einem lal bazaar Kalkuttas in Streit. Der für seinen rasch aufflammenden Jähzorn bekannte Samuel Greenwood schoss in blinder Wut um sich und tötete dabei drei der Mädchen und unglücklicherweise auch seinen Vorgesetzten, wofür er zum Tode verurteilt wurde.
Nur das Duell, das er selbst von Angesicht zu Angesicht ausgefochten hatte, war Ian anzulasten gewesen – doch es gab genug Zeugen, die vor Gericht bestätigten, dass Edward Fox ihm so sehr zugesetzt hatte, dass ihm keine andere Wahl blieb, als die Herausforderung anzunehmen, und er kam mit einer zu verschmerzenden Geldstrafe und hinter vorgehaltener Hand weitergeflüsterten Respektsbezeugungen davon.
Nun fehlte nur noch der Oberst selbst, der sich, inzwischen Sir Henry Claydon, behaglich auf dem Landsitz seiner Familie in Cornwall zur Ruhe gesetzt hatte. Er – und einer der Gefreiten, der Mann, der beträchtlichen Anteil am Verhör von Kala Nandigehabt hatte; ein Mann, der es ebenso geschickt verstand wie Ian, seine Spuren zu verwischen, dem Ian immer wieder auf den Fersen gewesen war und dessen
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