Himmel über Darjeeling
Die hohen Reiterstiefel klangen laut auf dem Marmorboden des verlassen daliegenden Hauses, und ihr Atem bildete kleine Wölkchen, als sie in den Hof hinaustrat, der durch Fackeln an den Wänden kaum erhellt wurde. Sie wickelte die lange Reiterjacke enger um sich, über die sie ihren roten Schal geschlungen hatte. Durch einen engen Mauergang erreichten sie die Stallungen, die um einen kleinen, von hohen Wänden umgebenen Hof standen. Der warme Geruch nach Pferden und Stroh schlug ihr entgegen und vermittelte ihr ein unerwartetes Gefühl der Geborgenheit. Mehrere Pferde standen gesattelt bereit, traten unruhig von einem Huf auf den anderen, schnaubten leise, begierig, ihre Reise zu beginnen. Pferdeknechte eilten hin und her, korrigierten hier einen Sattelgurt, dort ein Zaumzeug, zurrten das Gepäck hinter den Sätteln fest. Fast mit Erleichterung stellte Helena fest, dass es nur das Notwendigste zu enthalten schien; von ihren zahllosen Kisten oder deren teurem, eleganten, von Helena aber nicht sonderlich geliebten Inhalt war nichts zu sehen. Die drei Rajputenkrieger, die sie auf der Fahrt hierher bewacht hatten, schwangen sich in ihre Sättel, ebenso die vier anderen Inder, deren Pferde die größte Last trugen. Ian hob den noch schläfrigen, warm eingepackten Jason vor Mohan Tajid auf eines der Pferde. Einer der Reitknechte führte eine schöne Stute an ihrem Zügel zu Helena und verneigte sich tief vor ihr. Das Pferd beschnupperte sie vorsichtig, sah sie neugierig aus glänzenden Augen an, und Helena fuhr ihm zärtlich über Stirn und Hals, flüsterte ihm Koseworte zu, bis sie spürte, dass die Stute Vertrauen zu ihr fasste, ehe sie schwungvoll aufstieg. Sie genoss es, wieder auf einem Pferderücken zu sitzen, ließ das Tier probeweise ein paar Schritte gehen, bis sie sich im Sattel zurechtgesetzt hatte. Auf einem dunklen Hengst kam Ian zu ihr herüber, als sie gerade in die Lederhandschuhe schlüpfte, und nickte ihr zu. »Bist du so weit?«
Sie erwiderte sein Nicken. »Von mir aus können wir aufbrechen.«
»Gut. Wir sollten die Stadt hinter uns lassen, ehe es hell wird.«
Ein schmales Tor in einer der Mauern um den Hof wurde geöffnet, und in gemächlichem Schritt lenkten sie die Pferde hindurch, hinein in eine schmale Gasse, durch die nur ein Pferd hinter dem anderen durchkam. Sie bogen in eine der Hauptstraßen ab, die um diese Zeit still und leer war. Laut hallten die Hufe von den Hausfassaden wider. Wieder eine Abzweigung und noch eine, dann wieder ein Tor, und unmittelbar ging das Pflaster der Straße in Schotter über, dann Erde, und die Kälte der offenen Landschaft, die Schwärze der leeren Nacht schlugen ihnen entgegen.
Es war so dunkel, dass Helena kaum die Hand vor Augen erkennen konnte, aber ihre Stute passte sich dem Schritt der anderen Pferde an, sodass Helena die Zügel locker lassen konnte. Staunend betrachtete sie den Himmel, seine Sterne, die so nahe schienen: ein kunstvoller Baldachin, der sich dicht über ihnen wölbte, bis er weit hinten am Horizont auf die Erde, auf der sie ritten, stieß. Es war unglaublich still, so still, dass die Tritte der Pferde bis weit in das Land hinaus zu schallen schienen.
Die gleichmäßigen Bewegungen des Pferdes versetzten Helena in einen Dämmerzustand, der sie jegliches Gefühl für Zeit verlieren ließ. Es hätten Minuten oder Stunden sein können, die sie ritten. Kaum merklich ergraute die Nacht, ließ erste Konturen erkennen, von einem trüben Blau überzogen – trockene Erde, von Geröll bedeckt, niedrige Sträucher und Gräser, vereinzelt stehende knorrige Bäume, die abgeflachten Formen der Tafelberge beiderseits des Horizonts. Der Himmel hellte sich auf, begann erst weiß, dann blau zu leuchten. Ein goldenes Licht schien in ihrem Rücken auf, verfärbte sich rasch orange, dann rot, und als Helena über ihre Schulter blickte, sah sie den grellen Ball der Sonne aufsteigen, der die bereits weit entfernte Silhouette Jaipurs, die wie der gekonnte Wurf eines Würfelspielers innerhalb der starken Stadtmauer in der Ebene lag, in seinem flimmernden Hauch schmelzen zu lassen schien. Wie von selbst fielen die Pferde in einen leichten Trab, mit dem sie ihre Reiter leichtfüßig über den steinigen Boden trugen.
Ian, der an der Spitze des Zuges ritt, ließ sich zurückfallen, bis er auf einer Höhe mit Helenas Fuchsstute war. »Alles in Ordnung?« Helena nickte. Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander her, ehe Helena das Wort an ihn richtete.
»Hier
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