Himmel über Darjeeling
Abendessens an sich drückte.
»Huzoor kaháañ hai?« , herrschte Helena sie an.
Aus großen Augen sah das Mädchen sie verschüchtert an und wies auf die Tür aus dunklem Holz hinter sich.
Helena riss die Tür auf und stürmte in den Raum. Holzgetäfelt zwischen den Regalen voller Bücher, mit dicken Teppichen ausgelegt, wirkte er düster in der Finsternis, die kaum von den Laternen und dem Feuer im Kamin erhellt wurde. Ein massiver Schreibtisch nahm einen Großteil des Zimmers ein, und von ihm aus sah Ian sie verblüfft an. Der Botenjunge in weißer Jacke und Hosen, der gerade mehrere Umschläge entgegengenommen hatte, starrte sie unverhohlen und mit offenem Mund an.
»Tjelo!« , schickte ihn Ian mit einem Rucken seines Kopfes hinaus.
Der Junge sammelte sich rasch wieder, verbeugte sich tief erst vor Ian, dann Helena, nicht ohne ihr unter gesenkten Lidern neugierige Blicke zuzuwerfen, die Helena rot anlaufen ließen, ehe er gehorsam hinauseilte. Ian ließ sich in den Stuhl mit der hohen, gepolsterten Lehne zurückfallen und zündete sich eine Zigarette an.
»Herzlichen Glückwunsch. Du hast soeben sein Weltbild ins Wanken gebracht. Nach hierzulande vorherrschender Meinung haben Memsahibs nämlich keine Beine.« Beschämt vergrub Helena ihre Zehen in den dunkelroten, trichterförmigen Blüten des weichen Teppichs.
»Also, was willst du?« Durch den Rauch hindurch sah Ian sie abwartend an.
Mit trotzig vorgeschobenem Kinn erwiderte Helena seinen Blick. »Du hast mich den ganzen Tag warten lassen!«
»Ich hatte Wichtigeres zu tun.«
Helena warf den Kopf zurück; ihre Augen sprühten vor Wut. »Ich bin keines deiner Nauj -Mädchen, die du nach Belieben kommen und gehen lassen kannst, nur weil du sie bezahlst!«
Ians Mundwinkel kräuselten sich leicht, als er sich vorbeugte, um die Glut seiner Zigarette in einem Aschenbecher abzustreifen. »Ich sollte besser darauf achten, welches Vokabular Mohan Tajid dir beibringt.« Er lehnte sich zurück. »Aber der Vergleich ist gar nicht so unzutreffend, schließlich hast du dich auch an mich verkauft. Allerdings warst du verglichen mit den Tanzmädchen, die ihr Leben lang dazu erzogen werden, den Männern zu gefallen und sämtliche Kapitel des Kamasutra zu praktizieren, doch ein wenig teuer.«
Helena zitterte vor kaum unterdrückter Wut, und die Stiche der Eifersucht, die ihr die Vorstellung versetzten, wie Ian sich mit einem grazilen, dunkelhäutigen Mädchen vergnügte, machten ihr jeden Atemzug zur Qual.
»Das muss ich mir nicht bieten lassen«, fauchte sie ihn an, Zornestränen in den Augen, »nicht von dir!«
Sie wirbelte herum; doch noch bevor sie die Tür erreicht hatte, fühlte sie sich von Ian hart am Arm gefasst und herumgerissen. Heftig kämpfte sie darum, sich ihm zu entwinden, doch er war stärker, packte sie grob am Kinn und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Oh doch, das musst du! Dieser Teil Rajputanas ist frei, nicht unter englischer Kontrolle – hier gilt allein das Gesetz des Hinduismus. Wir sind nach hinduistischem Ritus getraut, und demnach bist du mein Eigentum!« Das Brennen in seinen Augen machte Helena Angst, doch der Hass, der in ihr aufschoss, verlieh ihr Kraft. Mit einem Ruck befreite sie ihren Kopf aus seinem Griff, bekam eine Hand frei, hatte schon zum Schlag ausgeholt. Doch sofort hatte Ian ihr den Arm auf den Rücken gedreht, und ihr entfuhr ein leiser Schmerzenslaut. Er lachte leise.
»Gib dir keine Mühe, ich werde immer schneller sein als du.« Er presste sie so fest an sich, dass sie seine Muskeln durch das dünne Gewand hindurch spüren konnte. Ohne seine Umklammerung auch nur eine Spur zu lösen, strich er sanft mit seinem Mund über ihr Gesicht, dass sie erschauerte.
»Gib zu, dass ich dir gefehlt habe«, flüsterte er gegen ihre Haut, ehe er ihr forschend in die Augen sah. Stumm und trotzig funkelte sie ihn an, ehe er beinahe schmerzhaft seine Lippen auf ihren Mund presste. Helena gab einen erstickten Laut von sich, als ihre Knie nachgaben, und sie wusste, dass sie sich verraten hatte. Atemlos erwiderte sie seine Küsse, trank sie gierig wie eine Verdurstende, fordernd, fast zornig, schmiegte sich an ihn, hungrig nach mehr. Verwirrt öffnete sie die Augen, als er sie plötzlich von sich wegschob. Ein diabolisches Lächeln schien in seinen Augen auf, als er sie auf Armeslänge von sich weg hielt.
»Oh nein, meine kleine Helena«, flüsterte er heiser, »so leicht werde ich es dir nicht machen.«
Seine Lippen streiften
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