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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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glänzenden Blätter, pflückte schließlich einen der jungen, hellgrünen Triebe. Er nahm Helenas Hand und legte den Zweig wie eine Kostbarkeit hinein. Helena spürte die saftige Festigkeit der Blätter, roch den feuchten, muskatartigen Duft, als er mit sanftem Druck ihre Finger darum schloss, ihre Hand fest in der seinen.
    »Das, Helena, ist das grüne Gold Indiens.«
    Sie sah auf. Ians dunkle Augen schienen warm auf, ließen sie wohl zum ersten Mal, seit sie diesen Mann kannte, offen in sein Innerstes schauen, und zusammen mit der Wärme seiner Hand drang sein Blick bis auf den Grund ihrer Seele.
    Es war ein langer, harter Tag gewesen – ihr erster Tag auf Shikhara, vor dem ihr so bang gewesen war. Doch die Freundlichkeit der Leute, die im und um das Haus arbeiteten, hatte ihr rasch ihre Scheu und Befangenheit genommen. Mit Staunen hatte sie gesehen, wie gut eingespielt der Haushalt war, und recht bald gespürt, dass sie als Memsahib mehr als willkommen war, dass aber nicht mehr von ihr erwartet wurde, als ihre Wünsche zu äußern. Stundenlang hatte sie sich im Reich der beleibten Köchin aufgehalten, die sich nichtsdestoweniger behände in ihrem rotvioletten Sari zwischen dem glühenden Herd und den Vorratsräumen hin- und herbewegte, mit barscher Stimme und gleichzeitig warmem Tonfall die Küchenjungen und Mädchen hin- und herscheuchte und liebevoll schalt. Dutzende verschiedener Gewürze hatte sie Helena unter die Nase gehalten, ihr die verschiedensten Köstlichkeiten zum Probieren aufgedrängt und dann mit erwartungsvollen Augen darauf gewartet, dass Helena daraus zögerlich einige für den Lunch und das Dinner auswählte, bevor sie eine Klage über die explodierten Preise des Fischhändlers anstimmte und darauf beharrte, dass Memsahib morgen ein Machtwort mit ihm sprechen müsse. Eines der Dienstmädchen kam aufgeregt herbeigestürmt und wollte wissen, ob Memsahib heute Abend das weiße oder das blau gerandete Service wünschte – und wie viele Kerzenleuchter? Helena begriff rasch, dass der Haushalt auf Shikhara auch ohne sie tadellos funktioniert hatte – aber dass die Menschen, die für Ian arbeiteten, ihr gern die Entscheidungen überließen. Sie inspizierte die Schränke mit Tisch- und Bettwäsche, Porzellan und Tafelsilber, fuhr bewundernd, fast ehrfürchtig über all die schönen Dinge, die es in diesem Haus gab, und beschloss in Ermangelung konkreter Anweisungen Ians, nach Gefühl und Gutdünken selbst zu entscheiden. Und stellte fest, dass es ihr Freude bereitete; frisch gebadet und in einen türkisblauen Sari mit Goldborte gekleidet, ging sie kurz vor dem Dinner selbst noch in den Garten und schnitt dort einen Arm voll weiß blühender Zweige, die sie in einer hohen Vase in die Mitte des Tisches stellte, weil sie fand, dass sie wunderbar mit dem weißblauen Porzellan und den weißen Kerzen harmonierten. Und sie sah an Ians Augen, dass es seine Zustimmung fand.
    Helena spürte jeden Muskel ihres Körpers, ihre Augenlider waren schwer, doch die Nachtluft hatte sie noch einmal auf den Balkon gelockt. Fest zog sie ihren Paschminaschal um das dünne Nachthemd, und die kühle Feuchtigkeit, die von den Hügeln aufstieg, war wie eine Liebkosung. Tief atmete sie die leichte, süße Luft ein und fühlte eine bisher nicht gekannte Zufriedenheit.
    »Bist du nicht müde?« Unwillkürlich zuckte ein Lächeln um Helenas Mundwinkel. Fast hatte sie damit gerechnet, Ian hier draußen zu begegnen, und sie wandte sich halb um.
    Im silbernen Licht der Sterne saß er in einem der Rattansessel, die Beine in den Reitstiefeln auf einem zweiten ausgestreckt und sah sie durch den Rauch seiner fast aufgerauchten Zigarre hindurch an. Sie nickte. »Doch, sehr.«
    Er drückte den Stummel aus und erhob sich, stellte sich dicht neben sie an das Geländer und sah in die Nacht hinaus.
    »Ich habe mich oft gefragt, ob es richtig sein würde, dich hierher zu bringen«, sagte er schließlich leise, »aber ich denke, das war es.« Fragend, beinahe forschend, sah er sie an.
    Helena nickte, ein wenig verwirrt. »Ich glaube auch, ja.«
    Ian hob die Hand und wickelte eine von Helenas welligen Strähnen um seine Finger. Er schien zu zögern, ehe er sie küsste, sanft und behutsam und mit einer überraschenden Zärtlichkeit. Wie von selbst legten sich ihre Arme um seinen Hals, schmiegte sie sich an ihn, und schmerzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sie seine körperliche Nähe vermisst hatte, wie fern er ihr in den vergangenen Wochen doch

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