Himmel über Darjeeling
aber selbst wenn ich es wüsste, würde ich Sie davon abhalten, es wäre keine gute Idee. Warten Sie, bis sein Zorn verraucht ist, vorher macht es keinen Sinn.«
»Und was soll ich so lange tun?«
Er sah sie ernst und doch mit dem Anflug eines Lächelns in den Augen an.
»Gehen Sie nach oben, ich werde Ihnen jemanden schicken, der sich um Sie kümmert. Ruhen Sie sich aus – ich werde im Haus Bescheid sagen, dass Sie sich nicht wohl fühlen. Und Jason werde ich schon zu beschäftigen wissen.«
Wie ein gescholtenes Schulmädchen schlich Helena die Treppe hinauf. Sie wusste, sie hatte sich dumm benommen, und hätte alles getan, um es ungeschehen zu machen. Müde ließ sie sich auf den Hocker vor ihrem Frisiertisch sinken, vermied jedoch jeden Blickkontakt mit der silbernen Fläche des Spiegels.
Ein leises Klopfen ließ sie auffahren, sich rasch die losen Strähnen aus dem Gesicht streichen und die letzten Tränen aus dem Gesicht wischen. Sie erstarrte, als Shushila sich vorsichtig in das Zimmer schob, der kupferfarbene Ton ihrer Haut betont durch den zartgelben Sari mit einer lichtgrünen Bordüre. Sie hatte keine Kraft mehr, zornig zu sein, und so sah sie die junge Frau nur an, mit einem Gefühl der Demütigung, dass Mohan Tajid ihr ausgerechnet sie geschickt hatte. Und auch Shushila schien sich nicht wohl zu fühlen, sah Helena vorsichtig unter halb gesenkten Lidern an, ehe diese begriff, dass Shushila sich vor ihr fürchtete – vor einem Wutausbruch, vor Schlägen, davor, aus dem Haus geworfen zu werden. Doch Helena brachte kein Wort heraus, senkte nur den Kopf, und erneut begannen Tränen zu fließen.
»Schhh«, machte Shushila leise und trat hinter Helena. »Nicht weinen, Memsahib.«
Vorsichtig zog sie die einzelnen Blüten und Blätter aus dem Haarknoten, dann die Nadeln, die ihn zusammenhielten, bis Helenas Haar offen den Rücken hinabhing. Mit Kamm und Bürste begann sie, es behutsam zu entwirren und zu glätten. Nach langem Schweigen hörte Helena ihre weiche Stimme hinter sich, bemüht, langsam und deutlich zu sprechen, damit Helena auch jedes Wort verstand.
»Sie dürfen von huzoor nicht schlecht denken. Manchmal kann er sehr wütend werden, aber das ist nie von Dauer. Er ist ein gerechter Herr und behandelt uns alle gut. Er schlägt uns nie, und er gibt uns viel Geld für unsere Arbeit. Fast jeder hier im Haus ist ihm dankbar, dass wir für ihn arbeiten dürfen. Ich besonders.« Sie schwieg einen Moment, als fiele es ihr schwer, weiterzusprechen. »Meine Eltern haben mich verkauft, als ich noch klein war – es gab nicht genug zu essen für uns Kinder. Ich wuchs in einem der lal bazaars von Kalkutta auf, und als ich alt genug war und alles gelernt hatte, was ich zu wissen brauchte, war ich ein nauj -Mädchen. Ich wurde oft geschlagen, und die Männer waren böse zu mir. Einmal war es besonders schlimm, und huzoor , der mit anderen Sahibs da war, sah es. Er gab der alten Vettel dort viel Geld für mich, viel mehr, als ich wert war, und nahm mich mit in sein Haus in Kalkutta. Er gab mir zu essen und neue Kleider und verlangte nichts weiter von mir, als in der Küche mitzuhelfen. Und er nahm mich mit, als er wieder hierher reiste. Er hat nie etwas verlangt – aber irgendwann wollte ich es auch. Ist auch nicht schwer bei einem Mann wie huzoor .«
Sie verstummte wieder, und in Helena krampfte sich alles zusammen. Mitgefühl für Shushilas Schicksal, eine Spur von Dankbarkeit Ian gegenüber, ein Hauch von Stolz auf ihn, dass er sie aus dem Bordell geholt hatte, stechende Eifersucht wegen der Nächte, in denen er Shushila geliebt hatte, bildeten ein unentwirrbares Knäuel in ihrer Magengegend. Ohne dass sie es gemerkt hatte, hatte sie sich auf dem Hocker in Richtung des Spiegels gedreht, und als sie nun aufsah, traf sich darin ihr Blick mit dem Shushilas, ehe diese sich verlegen wieder den Knoten in Helenas Locken zuwandte. Sie holte tief Luft und fuhr mit ihrer Erzählung fort.
»Ich hatte nie mehr erwartet, als das, was ich bekam, denn das war schon mehr, als ich mir je erträumt hatte. Er hat mir versprochen, mich gehen zu lassen, wenn ich je einen Mann fände, der mich haben wollte, und mir sogar eine gute Mitgift zu geben. Natürlich hörte ich so allerlei – dass huzoor eigentlich hellhäutige Memsahibs bevorzuge, wenn er in Kalkutta war oder in England. Aber ich habe nie eine zu Gesicht bekommen, obwohl ich darauf wartete. Ich – ich habe ihn einmal gefragt, warum er ohne Memsahib sei. Er hat
Weitere Kostenlose Bücher