Himmel über Darjeeling
gewesen war, obwohl sie räumlich nicht viel voneinander getrennt hatte. Sie erwiderte seinen Kuss, hungrig, gierig, und sie spürte, wie ein leises Lachen durch seinen Körper ging. Er nahm ihr Gesicht in die Hände und bog ihren Kopf sanft zurück.
»Ich wusste vom ersten Moment an, dass in dir eine Wildkatze schlummert«, flüsterte er ihr zu, seine Stimme heiser vor Begehren, ehe er sie erneut küsste, hitzig und wild dieses Mal, dass Helena vor Wonne seufzte. Er hob sie auf und trug sie in ihr Schlafzimmer, hüllte sie ein in sanftes Streicheln und brennende Küsse, bedeckte die Nacktheit ihres Körpers mit der seinen, bis sie in der Erfüllung ihrer Sehnsucht leise aufschrie.
Die Morgensonne malte warme Streifen auf die Laken und Kissen, Helenas Haut und Lider. Sie öffnete die Augen und sah Ian an, der tief und fest neben ihr schlief. Ihr Blick wanderte über die Strähne seines schwarz glänzenden Haares, die ihm in die Stirn fiel, über sein Gesicht, das im Schlaf jung und entspannt und verletzlich wirkte, seine nackte Brust mit dem dichten dunklen Haar, die sich hob und senkte, blieb an der vernarbten Haut seiner linken Schulter hängen. Sachte wie ein Schmetterlingsflügel, darauf bedacht, ihn nicht zu wecken, strich sie ihm die Strähne aus dem Gesicht, fuhr über die harten, unebenen Grate des Narbengewebes, ein wehes Gefühl im Herzen. »Ich liebe dich, Ian«, wisperte sie kaum hörbar, ihre Kehle eng von ungeweinten Tränen des Glücks und der Traurigkeit. »Ich liebe dich.«
19
S ie musste noch einmal eingeschlafen sein, denn als sie wieder die Augen öffnete, war Ian fort. Die Laken zeichneten die Konturen seines Körpers nach, hielten noch seine Wärme fest, und als Helena den Kopf in die Falten und Verwerfungen schmiegte, konnte sie noch seinen Duft riechen, und ein sehnsüchtiges Verlangen zog durch ihren Leib. Dann erst hörte sie seine Schritte nebenan, sein vergnügtes Summen, und ein seliges Lächeln zog über ihr Gesicht. Doch es erlosch, als sie ihn, gedämpft durch Tür und Wand, lachen und scherzen hörte, unverkennbar im schnellen, tanzenden Tonfall des Hindustani, und die weibliche Stimme, die ihm antwortete, hell sein Lachen erwiderte, war die Shushilas.
Zorn und Scham vermischten sich zu einem elenden Gefühl, und Helena vergrub den Kopf in einem der Kissen, biss die Zähne zusammen, um ihre Tränen zurückzudrängen, und auch, um nichts mehr davon mit anhören zu müssen. Als eine Hand sie an der Schulter berührte, schreckte sie auf. Es war Yasmina, die sie schuldbewusst ansah, weil sie sie aus dem Schlaf gerissen zu haben glaubte.
»Ich habe ein Bad für Sie eingelassen, Memsahib. Bitte beeilen Sie sich, huzoor erwartet Sie auf der Veranda zum Frühstück.«
Helena trödelte absichtlich. Yasmina musste sie mit Nachdruck aus dem nach Rosen duftenden Badewasser verscheuchen. Ihrer Gewohnheit nach griff sie zu Hemd und Reiterhosen, doch Yasmina schüttelte verlegen den Kopf. » Huzoor wünscht, dass Sie heute etwas anderes tragen.«
Erst jetzt sah Helena das cremeweiße Kleid, über das sich grüne Ranken und Blätter zogen und das ausgebreitet auf dem von Yasmina inzwischen frisch gemachten Bett lag. Einen Augenblick sah sie sich versucht, Ians Anordnung zu widersetzen, doch dann zuckte sie gleichgültig mit den Schultern. »Meinetwegen.«
Obwohl Yasmina sich alle Mühe gab, das Korsett so fest zuzuziehen, wie sie konnte, hatte sie anschließend Mühe, die Häkchen im Rücken des Kleides zu schließen, und als Helena sich in dem hohen Spiegel betrachtete, musste sie zugeben, dass es wirklich sehr eng saß. Kein Zweifel: Sie hatte seit der Anprobe in London zugenommen. Sie schluckte, als es ihr bewusst wurde, und Shushila, so schön und verführerisch in ihren Saris, tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Herausfordernd, fast trotzig reckte sie ihrem Spiegelbild das Kinn entgegen. Gut, sagte sie sich selbst, dann werde ich eben zu einer hässlichen, reizlosen Matrone! Wen kümmert das schon? Ohne ihr Spiegelbild noch eines Blickes zu würdigen, ließ sie sich am Frisiertisch von Yasmina ihr Haar bürsten und zu einem weichen Knoten aufstecken, den Yasminas geschickte Finger mit einzelnen weißen Seidenblüten und künstlichen grünen Blättern schmückten.
Als Helena wenig später in den leichten Slippern aus hellem Leder auf die Veranda trat, blind für die morgendliche Schönheit des Gartens, den liebevoll gedeckten Tisch, bemühte sie sich, Ians Blicke zu ignorieren –
Weitere Kostenlose Bücher