Himmel über dem Kilimandscharo
Weil die Inder den Handel beherrschen und zu viel Einfluss in der Stadt haben.«
» Was? Aber das können sie doch nicht tun. Wir sind schließlich Deutsche, sie können nicht das Haus abreißen, in dem wir wohnen und unser Geschäft führen!«
Peter Siegel beruhigte Charlotte. Er sei bei den Behörden vorstellig geworden und habe die Lage erklärt. Allerdings sei es schwierig, denn Charlotte und Christian hätten den Mietvertrag mit dem Inder geschlossen. Der sei aber verschwunden, und die Kolonialregierung behalte sein Eigentum so lange ein, bis er seine Schulden beim deutschen Zoll und die dazugehörige Strafe bezahlt habe. Was vermutlich nie geschehen würde.
Nach einer festgesetzten Frist gingen die Grundstücke des Inders schließlich in den Besitz der Kolonialregierung über. Solange die Sache in der Schwebe sei, könne der Laden also erst einmal weitergeführt werden.
Charlotte lehnte müde den Kopf gegen die Rückenlehne des Sessels. So also sah der neue Anfang aus. Klara würde heiraten, und sie wäre die Letzte, die ihre Cousine davon abhalten würde. Sie gönnte ihr das Eheglück, von dem die behinderte Klara nie zu träumen gewagt hatte. Doch natürlich würde sie dann bei ihrem Ehemann leben, bestenfalls hier in Daressalam, vielleicht aber auch irgendwo im Landesinneren in einer Mission, denn Peter Siegel schien ihr ein ehrgeiziger Geistlicher zu sein. Den Laden und die kleine Wohnung würde sie über kurz oder lang verlieren, ob die Behörden planten, ihr dafür einen Ersatz anzubieten, stand in den Sternen. Wie auch immer– sie würde ganz allein zurechtkommen müssen.
» Jetzt erzähl doch einmal von deiner Karawanenreise. Habt ihr viel Elfenbein eingekauft? Hast du den Kilimandscharo gesehen? Und wo steckt Christian? Ist er noch am Hafen?«
» Nein, Klara. Christian ist tot.«
Charlotte hatte sich vor diesem Augenblick gefürchtet, der doch nicht zu umgehen war und der einen langen Bericht nach sich ziehen musste. Sie hatte Angst gehabt, von den aufsteigenden Bildern überwältigt zu werden und aufs Neue in Verzweiflung zu versinken, doch genau das Gegenteil geschah. Stockend fing sie an zu erzählen, verwirrte sich, musste die Reihenfolge der Ereignisse berichtigen, dann aber spürte sie, wie ihr leichter ums Herz wurde. Sie schilderte jedes Detail, jede schmerzliche Erinnerung, sprach ungeschönt von ihrer Reue und ihren Gewissensbissen und fühlte zugleich, dass die bitteren Gefühle in ihrem Herzen schwanden, je mutiger sie sie aussprach.
» Gott sei seiner Seele gnädig«, sagte Peter Siegel leise, und Klara, die sich gut vorstellen konnte, wie es in Charlotte aussah, verbot ihr energisch, sich Vorwürfe zu machen.
» Du hast unendlich viel für Christian getan«, stellte sie fest. » Vor allem hast du ihm vergeben. Und ich weiß, wie sehr er darauf gehofft hat, Charlotte.«
Peter Siegel blieb bis zum späten Nachmittag, da er meinte, die unglücklichen Frauen mit dem Trost des Evangeliums versehen zu müssen. Charlotte war froh, als er sich endlich mit einem langen, innigen Händedruck verabschiedete; sie hatte das Gerede von der Auferstehung im Herrn und der Vergebung aller Sünden durch Christi Blut gründlich satt. Es mochte Missionar Siegels Bestimmung sein, die protestantische Lehre zu verkündigen, und ganz sicher war er selbst felsenfest von dem, was er sagte, überzeugt, aber seltsamerweise fehlte seinen Worten alle Wärme. Sie klangen wie jene Predigten, die sie als Kind allsonntäglich hatte anhören müssen und die sich stets an jemand anderen zu richten schienen, niemals aber an sie selbst.
» Er ist ein so rührender Mensch«, seufzte Klara.
» Das ist er gewiss«, gab Charlotte zurück, und da sie Klara nicht verletzen wollte, fügte sie hinzu: » Ich glaube, ihr werdet sehr glücklich miteinander werden.«
» Sprich doch jetzt nicht von solchen Dingen, Lotte. An eine Hochzeit ist nun sowieso nicht zu denken. Der arme Christian ist ja kaum unter der Erde…«
Sie schlossen den Laden und saßen bis gegen Mitternacht in der Wohnung zusammen, weil Klara unbedingt noch an diesem Abend einen Brief nach Leer schreiben wollte.
Auch Schammi hatte Charlottes Bericht aufmerksam gelauscht. » Fieber ist böse«, hatte er anschließend betroffen gemurmelt. » Kommt in der Nacht und zündet Bauch an, damit Seele verbrennt zu Asche.«
Wie früher schliefen beide Frauen zusammen in einem Zimmer. Trotz aller Müdigkeit flüsterten sie leise miteinander, und in der Dunkelheit des
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