Himmel über dem Kilimandscharo
war in guter Hut, beruhigte sie sich. Ein paar Wochen nur, dann würden sie sich wiedersehen…
In der Mitte des Schiffsdecks hockten einige schwarze Arbeiter eng aneinandergedrängt zusammen, von drei bewaffneten Askari bewacht. Es war ein trauriger Anblick: Die armen Kerle waren in zerfetzte Lumpen gewickelt, keiner von ihnen besaß ein Hemd. Vermutlich hatten sie die Steuer nicht zahlen können und mussten sie nun im Süden auf den Baumwollfeldern abarbeiten.
» Maji-maji«, sagte jemand mit halblauter Stimme. » Kolelo macht uns alle zu askari ya mungu. Maji-dawa wird uchawi besiegen.«
Aha, dachte Charlotte, der Schlangengott Kolelo machte diese armseligen Gestalten zu Kriegern des mungu, des Weltenschöpfers. Der Zauber des maji würde das Böse besiegen und alles wieder in Ordnung bringen. Doch was für ein maji war gemeint?
Maji, das bedeutete Wasser. Meinten sie das Zauberwasser vom Rufiji-Fluss? Angeblich sollte das auch zu einer glücklichen Geburt verhelfen. Nun, Peter Siegel durfte sie damit wohl nicht kommen– als evangelischem Christen war ihm schon das katholische Weihwasser ein Gräuel.
Graue Wolken zogen sich über Kilwa Kivinje zusammen, als der Küstendampfer im Hafen festmachte. Charlotte stand fröstelnd an der Reling und hielt mit einer Hand den Tropenhelm fest, der ihr sonst vom Kopf geweht worden wäre. Wie trübsinnig diese eigentlich doch reizvolle Landschaft auf sie wirkte. Vielleicht lag es an dem aufkommenden Gewitter– eine Seltenheit in der Trockenphase–, vielleicht auch an ihrer Müdigkeit, denn sie hatte zwei Nächte auf dem Schiff verbracht, ohne rechten Schlaf zu finden. Weder der palmenbestandene Strand noch die weiße Festung der deutschen Schutztruppe mit den vorgelagerten Häusern und Hafenanlagen konnten ihr Begeisterung abringen, auch die schwach begrünten, flachen Hügelketten im Hintergrund ließen sie gleichgültig. Sie spürte eine unerklärliche Abneigung gegen diesen Landstrich und sehnte sich zurück aufs Meer, wo spielende Delphine das Schiff so anmutig begleitet hatten.
Während über ihnen schon die ersten Blitze aufzuckten, wurden die schwarzen Arbeiter von ihren Bewachern mit eisernen Fesseln aneinandergekettet und im Gänsemarsch über den Landungssteg getrieben. Charlotte hatte zwar früher in Daressalam häufig solche unangenehmen Bilder vor Augen gehabt, heute jedoch trugen sie weiter zu ihrer trüben Stimmung bei. Auch Juma starrte beklommen auf die Gefangenen und schien sehr froh zu sein, dass ihm selbst ein besseres Schicksal beschieden war.
Das Bezirksamt war nicht besetzt, doch sie schafften es gerade noch, trockenen Fußes die Festung zu erreichen, wo man sie ohne weitere Fragen einließ. Kaum waren sie über den Innenhof zum Hauptgebäude gelaufen, da krachten über ihnen die Donnerschläge, und der Regen klatschte wie aus Eimern auf den roten Staub.
Es stellte sich heraus, dass nur wenige weiße Offiziere in der Festung anwesend waren, dafür aber der Bezirksamtmann und Stabsarzt Dr. Lott. Charlotte atmete erleichtert auf– ein Arzt war auf jeden Fall zur Stelle.
» Sie bringen Regen mit«, bemerkte Dr. Lott heiter, als er sie in seinem Dienstzimmer begrüßte. » Das ist ein gutes Omen, Frau von Roden. Seien Sie uns herzlich willkommen.«
Er war ein blonder Mensch mit rötlichem Schnauzbart, der wegen seiner hellen Haut stets mit Sonnenbränden zu kämpfen hatte. Auch jetzt waren Kinn und die Umgebung des Adamsapfels entzündet. Seine etwas ruppige Fröhlichkeit erinnerte Charlotte an Dr. Brooker.
» Ich bin zu einem Besuch bei meiner Cousine Klara Siegel in der Missionsstation Naliene unterwegs. Sie erwartet in den kommenden Tagen ein Kind. Ist sie vielleicht gar schon in Kilwa?«
» Bedaure, Frau von Roden. Eine Entbindung hatten wir hier schon lange nicht mehr. Dafür kann ich Ihnen aber heute Abend einen leibhaftigen Bischof präsentieren. Keine Sorge– er wird Sie nicht beißen, selbst wenn Sie Protestantin sind…«
Er bemühte sich, ihr den Hof zu machen, erzählte, dass dieser Posten in Kilwa reichlich eintönig sei, die Gegend sei lange vernachlässigt worden, erst in letzter Zeit würden Truppenstationen und Polizeiposten ausgebaut. Dabei sei die Landschaft nicht übel, drüben in den Bergen gewiss auch fruchtbar, sicher nicht mit dem Usambara-Gebirge oder dem Kilimandscharo zu vergleichen, aber immerhin. Schließlich versicherte er ihr, dass er ihren Mut bewundere– es sei immer noch eine kleine Sensation, wenn eine
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