Himmel über dem Kilimandscharo
weiße Frau ganz allein durch die Kolonie reise. Charlotte lächelte höflich zu seinem Geschwätz. Er war ein wenig lästig, aber im Grunde ein anständiger Bursche, und wie die meisten jungen deutschen Offiziere hatte er lange keine weiße Frau mehr gesehen.
» Meine Güte! Ich rede Ihnen die Ohren voll. Mtusi– zeig Frau von Roden die Gästezimmer!«
Das Abendessen wurde in der Offiziersmesse eingenommen, einem recht karg eingerichteten Raum mit hell gestrichenen Wänden, einem klobigen Schrank aus dunklem Holz und einer langen, weiß gedeckten Tafel. Gerahmte Fotografien ergänzten die Ausstattung: ein Bild der Lüneburger Heide, ein Foto des Reichspostdampfers Bürgermeister und das übliche Bild von Kaiser Wilhelm II . Es waren außer Dr. Lott nur zwei junge Feldwebel und der Funker erschienen, ein Unteroffizier lag krank darnieder und ließ sich entschuldigen, dafür aber saßen drei geistliche Herren mit am Tisch.
» Seine Exzellenz, Bischof Cassian Spiß– Frau von Roden aus der Kilimandscharo-Region.«
Charlotte hatte zuerst geglaubt, die Ankündigung eines leibhaftigen Bischofs sei als Scherz zu verstehen gewesen, jetzt wurde sie eines Besseren belehrt. Bischof Cassian hatte zum Glück nichts von jenen wohlgenährten Prälaten, über die ihr Großvater früher gern gespottet hatte. Er war eher schmal, das dunkle Haar war an der Stirn gelichtet, und er trug das Habit der Benediktiner in Weiß, wie es in Afrika üblich war. Das Bischofskreuz auf seiner Brust war keineswegs mit Diamanten besetzt, sondern aus schlichtem Metall. Seine beiden Begleiter waren Laienbrüder und grau gewandet, sie erschienen ihr von Statur und Gesichtszügen her jedoch handfester und wurden ihr als Andreas Scholzen und Gabriel Sonntag vorgestellt.
Charlottes anfängliche Befangenheit schwand rasch, denn der schwarzbärtige Bischof erwies sich als leutselig, und es störte ihn wenig, dass sie sich gleich als Protestantin und Enkelin eines Superintendenten zu erkennen gab.
» Ihr Schwager hat also eine evangelische Missionsstation bei Naliene aufgebaut– das ist große Anerkennung wert. Ja, wir von der päpstlichen Fraktion müssen uns anstrengen, damit wir nicht von den Protestanten überrundet werden. Aber im Grunde sind wir doch alle Botschafter des einen christlichen Glaubens…«
Er stammte aus dem Süden, wie man an seiner Aussprache hören konnte; als sie ihn unbefangen fragte, ob er aus dem Bayrischen käme, widersprach er heftig: Er sei Tiroler.
Dr. Lott begann sofort das Lied von den lustigen Tirolern anzustimmen, und da die schwarzen Angestellten zum Essen auch Bier und Whisky serviert hatten, fielen die Offziere begeistert ein. Der Bischof ließ ihnen ihren Spaß, fügte aber hinzu, dass man in seiner Heimat keineswegs lustiger als anderswo sei und dass so mancher Bergbauer dort ein hartes Leben führe. Charlotte überlegte, ob er vielleicht gar selbst der Sohn eines solchen Bauern war, einer jener begabten Knaben, denen die katholische Kirche eine Ausbildung zum Priester ermöglichte. Trotz seines fast asketisch wirkenden Äußeren schien er ausdauernd und von robuster Gesundheit zu sein, das Fieber, das fast jeden Europäer in Afrika befiel, hatte ihm bisher nichts anhaben können.
» Wenn ich auch einmal raten darf«, wandte er sich schmunzelnd an sie. » Könnte es sein, dass Sie Ihre Kindheit im schönen Ostfriesland verbracht haben?«
» Hört man das so deutlich?«
» Ein wenig«, erwiderte er zurückhaltend. » Nur wenn man ein Ohr für Dialekte hat.«
Er hatte schon vor sieben Jahren in der Nähe von Songea eine Missionsstation gegründet und eine Kirche erbaut. Dort hatte er auch die Sprachen der Einheimischen erlernt und ihre Grammatik verfasst. Die der Wangoni, die aus Südafrika eingewandert waren, und die der Kigoni, der ursprünglichen Bewohner der Gegend um Songea.
» Es ist ein vielverbreiteter Irrtum, wenn man glaubt, die Sprachen der Eingeborenen seien arm– ich habe festgestellt, dass sie unendlich viele Sachverhalte und auch Gemütszustände ausdrücken können, für die es im Deutschen manchmal gar kein Adäquat gibt. Aber dieses Wissen erschließt sich dem Europäer nicht, weil er sich keine Mühe macht, diese Sprachen zu erlernen, und weil er die Denkweise der Afrikaner nicht begreifen kann…«
Was für ein Wunder – er hatte vor Jahren die Schriften von Heinrich Barth gelesen, den er hoch schätzte. Allerdings diente sein eigenes Interesse an den afrikanischen Sprachen nur einem
Weitere Kostenlose Bücher