Himmel ueber fremdem Land
dass er sie noch vor dem Fest in sein Arbeitszimmer zitierte?
Da sich dieses Zusammentreffen wohl nicht vermeiden ließ, hob sie die Hand und klopfte kräftig an die Tür. Sie schrak zusammen, als diese im selben Augenblick von innen geöffnet wurde. Ihr Ehemann trat beiseite und ließ sie ein.
Der Rittmeister legte ein paar Papiere zurück auf die Schreibtischplatte und deutete einladend auf die beiden Stühle vor seinem Tisch. Tilla wartete, bis Joseph ihr den einen Stuhl zurechtgerückt hatte, ehe sie sich niederließ und mit sehr geradem Rücken darauf wartete, was der Hausherr ihnen offenbaren wollte.
»Gut, dass ihr wieder in Berlin seid«, begrüßte Meindorff sie, obwohl Tilla wusste, dass er seinen Sohn schon am Vorabend bei ihrer Ankunft ausführlich gesprochen hatte. Sie selbst war erschöpft in ihr Bett gefallen.
»Neben den geschäftlichen Herausforderungen, die ich mit Joseph bereits besprach, liefert uns neuerdings Hans private Scherereien.«
Mit einem erleichterten Ausatmen sank Tilla an die Lehne ihres Stuhls. Es ging also weder um Demy, die sich wieder einmal danebenbenommen hatte, noch hatte Meindorff ihre Lügen bezüglich ihres Familienvermögens durchschaut. Probleme, die von einem der Brüder Josephs im jugendlichen Überschwang aufgeworfen wurden, gingen sie wohl kaum etwas an. Oder etwa doch?
Wollte der Rittmeister ihr die Leitung des Haushalts übertragen, wie es sich für eine Frau Meindorff gehörte? Sie wurde über geschäftliche Details nicht informiert, während sie nun aber in Familienangelegenheiten zu Rate gezogen werden sollte. Erfreut, dass sie nun endlich als volles Familienmitglied anerkannt wurde, ließ sie ihre verspannten Schultern etwas sinken.
»Hans hat sich mit einer Frau eingelassen. Das mag nun nichts Ungewöhnliches sein …« Meindorff unterbrach sich und warf Tilla einen prüfenden Blick zu, ehe er sich leise, fast verlegen räusperte. Sie ballte wütend die Hände zu Fäusten, zwang sich aber, nicht zu reagieren. Dass dieses Verhalten im Hause Meindorff nichts Außergewöhnliches war, hatte sie mittlerweile selbst herausgefunden. Sie hasste die großspurige Leichtigkeit, mit der auch der Rittmeister dieses delikate Thema behandelte. Äußerlich blieb sie ruhig und gefasst, doch brodelte in ihrem Inneren erneut ein gefährlich heißes Feuer auf.
»Nachdem mir vor zwei Wochen bekannt wurde, dass Hans eine Liaison mit einer Arbeiterin hat, die zudem ein paar Jahre älter ist als er, dachte ich mir, es könne sinnvoll sein, Hans’ Interesse am weiblichen Geschlecht frühzeitig in die richtigen Bahnen zu lenken. Also nahm ich mit ein paar Geschäftspartnern und guten Bekannten schon früher geführte Gespräche diesbezüglich wieder auf. Kurzum, seine Freundschaft mit Philippe und dessen nicht geringer Einfluss auf ihn schadet dem Ruf von Hans mehr, als ich erwartet hatte. Selbst von Männern wie Ehrenfried Ehnstein oder Anton Ahlesperg, dessen Sohn Adalbert ein nicht minder großer Luftikus ist, bekam ich auf mein Ansinnen, unsere Häuser durch eine Eheschließung zwischen Hans und einer ihrer Töchter zu verbinden, eine wenig versteckte Abfuhr. Sogar Boehmer, der seine unansehnliche Tochter Adele noch vor Wochen mit Philippe vermählen wollte, erteilte mir eine Absage.«
Die tiefe Genugtuung in Tillas Herzen ließ sie lächeln. Weshalb sollten die Männer mit ihren amourösen Abenteuern immerzu ungestraft davonkommen, während eine Frau ihr Leben lang verachtet, von der Gesellschaft gebrandmarkt und schlimmstenfalls sogar ausgestoßen und der Armut preisgegeben wurde, wenn die Nachricht über ihre Romanze oder gar über ein uneheliches Kind an die Öffentlichkeit drang? Falls sie sich von Joseph scheiden ließe, könnte sie niemals beweisen, dass er die Schuld dafür trug, was jedoch völlig gleichgültig war, denn als geschiedene Frau musste sie so oder so auf sich allein gestellt durchkommen.
»Dein Lächeln, liebe Schwiegertochter, bestärkt in mir den Verdacht, mein Vorschlag, wer eine geeignete Ehefrau für meinen Sohn wäre, könne in deinem Sinne sein.«
Tilla erstarrte. Wie sollte sie seine Worte interpretieren? Sie kannte in Berlin keine Frau, die sie gern in Hannes’ Armen sehen wollte.
»Es ist nicht ganz das, was ich mir für Hans erhoffte, aber auch keine schlechte Lösung.« Wieder zögerte Meindorff, was Tilla genug Zeit ließ, ihrem Mann einen fragenden Blick zuzuwerfen. War er in die Pläne seines Vaters eingeweiht? Wusste er mehr als
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