Himmel über London
verändert, es war ein dunkles Jahr, ich habe Freunde, die sind einfach spurlos verschwunden …«
Sie machte eine Pause, schien wieder mit sich selbst zu Rate zu gehen.
»Das große Bild habe ich klar vor mir«, sagte ich, »aber ich weiß eigentlich nicht, welche Rolle du dabei spielst.«
Sie nickte. »Es ist nutzlos, in die Details zu gehen, es ist immer noch am besten, wenn du so wenig wie möglich weißt. Du musst darauf vertrauen, dass ich für die Guten arbeite.«
»Das habe ich vom ersten Augenblick an«, warf ich ein.
»Ich kann mich dran erinnern, dass du deine Zweifel hattest.«
Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und richtete sich auf. Wartete erneut einige Sekunden, bevor sie wieder ansetzte. Wieder hatte ich das Bild des verletzten Vogels vor mir.
»Das Problem«, sagte sie, »das akute Problem ist, dass ich nicht weiß, welchem meiner Kontakte ich vertrauen kann. Es handelt sich nur um vier Personen, aber einer von ihnen, mindestens einer, ist die undichte Stelle. Das muss so sein, er muss es sein, der über mich nach Prag berichtet hat. Weshalb ich im Februar zurückgerufen wurde.«
Ich überlegte. Wir rauchten und tranken noch mehr Wein. Ich nahm an, dass sie mir Zeit zum Nachdenken geben wollte. Eine Chance, mich herauszuziehen, wenn ich es wollte; es gab etwas Zähes, etwas Zögerliches in unserem Gespräch, wie ich es von unseren früheren Treffen nicht kannte.
»Aber wenn sie dich verdächtigen«, fragte ich, »dann müssen sie doch auch den Verdacht haben, dass du davon weißt? Sie haben dich wieder rausgelassen, damit du in die Falle tappst. Was würde es denn für Folgen haben, wenn du einfach abspringst?«
Ihr Blick wurde plötzlich fast mitleidig.
»Das sage ich doch immer«, erklärte sie. »Du hast nicht die Voraussetzungen dafür, das hier zu verstehen. Nicht in deinem Herzen. Du stammst aus einer anderen Welt.«
»Ich weiß, dass du das glaubst«, sagte ich. »Aber was willst du mir eigentlich sagen?«
»Meine Familie«, antwortete sie. »Meine Eltern sind alt, wie du weißt. Sie haben nicht mehr viele Jahre zu leben, doch um sie geht es nicht in erster Linie. Aber meine Schwester, mein Schwager und ihr kleines Kind, die leben in Prag, die haben Arbeit und eine Wohnung. Denen geht es unter den herrschenden Umständen gut. Und ich möchte, dass sie weiterhin so leben können. Wenn ich einen Fehler mache, den falschen Kontakt aufnehme beispielsweise oder abspringe … ja, dann wird sich ihre Situation schlagartig verändern. Das weiß man, sie brauchen ihre Drohungen gar nicht mehr auszusprechen. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir es im Blut haben.«
Ein gespaltenes Gefühl aus Wut und Scham schoss in mir auf. »Natürlich«, sagte ich. »Entschuldige. Und du musst also diesen Kontakt aufnehmen, du kannst nicht einfach drauf verzichten?«
»Mir bleibt höchstens eine Woche dafür«, sagte sie. »Wenn ich nichts tue, hat das ebenfalls Konsequenzen.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte ich, und erst jetzt, zu dieser fortgeschrittenen Stunde, streckte sie ihre Hände über den Tisch und ergriff meine.
»Ja«, sagte sie. »Wenn es dir wirklich ernst ist, dann glaube ich, das kannst du tatsächlich.«
Es war ein einfacher Plan. Zumindest zu Anfang.
Zumindest in der Theorie. Wir lagen in dem zerwühlten Bett in dieser Wohnung in der Kemble Street und skizzierten ihn. Die ganze Nacht lagen wir dort, ich verließ sie erst um halb sechs Uhr morgens, ich wanderte durch ein morgenleeres London, nur vereinzelte Zeitungsboten waren unterwegs, ein paar Straßenkehrer, es war ein seltsam schöner Morgen mit Vogelgezwitscher und leichtem Nebel, und er bot einen unbegreiflichen Kontrast zu dem, worüber wir geredet hatten. Die Wirklichkeit und der Plan. Doch sie reimten sich ausgezeichnet auf das andere, auf eine mögliche Liebe, auf die erste Frau und auf die Hoffnung auf ein sinnvolles Leben.
Das Objekt hieß Monroe. Carla hatte ihn kurz als den Traum jeder Schwiegermutter beschrieben. Er war um die fünfunddreißig, und er war der heimliche Liebhaber der Nummer Zwei im Kriegsministerium. Nummer Zwei wiederum war Admiral, Mitglied des Oberhauses, und wohnte mit seiner adligen Ehefrau und vier Kindern auf seinem Landgut in Somerset. Arbeitswohnung in Belgravia, dort pflegte er Monroe zu treffen. Spielte einmal die Woche mit dem Innenminister Tennis, war Mitglied im Reformclub, war in regelmäßigen Abständen im Fernsehen zu sehen, für die nächste Wahl war ihm ein
Weitere Kostenlose Bücher