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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Ende haben müsste? Durften wir uns nicht mehr treffen? War alles vorbei? Hatte Carla die gleiche bedrohliche Information erhalten, und wie würde sie in diesem Fall reagieren?
    Ich ahnte die Antwort. Meine Möglichkeiten, Kontakt zu ihr aufzunehmen, waren außerdem sehr begrenzt; ich wusste ungefähr, wo sie draußen in Hammersmith wohnte, und ich wusste, wo die Botschaft der Tschechoslowakei lag. Doch was würde das nach sich ziehen, wenn ich versuchte, sie an einem der Punkte zu erreichen?
    Es sei denn, sie würde Kontakt zu mir aufnehmen, aber es sprach sehr viel dafür, dass sie das nicht tun würde.
    Wieder lag ich schlaflos da mit meinen Fledermäusen, meinen Tauben und meiner Frustration. Die Zeilen von Browning erschienen mir wie ein Hohngelächter aus der Unterwelt.

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    K orrektur: Damit waren die meisten wesentlichen Ereignisse in Lars Gustav Seléns äußerem Leben eingetroffen.
    Denn es gab auch noch ein inneres. Ein inneres, wachsendes Leben; während die Umwelt, penetrante und streitlustig, fordernd, lästig und nervend, penetrante Arbeitskollegen, Nordwind, mürrische oder unverschämte Nachbarn in der Waschküche, Taxifahrgäste, alte Schulfreunde, mürrische Kassiererinnen, eingetrocknete gelbe Käserinden und Leute im Allgemeinen, ja, während diese stets quirlige Umgebung zu einem Juckreiz und einem Fieber, zu einer unerträglichen Ödnis wurde, während der Wahnsinn hinter der Ecke lauerte, während seine Sinneseindrücke nach nichts anderem als Staubflusen und abgestandenem Schweiß und vielleicht noch nach eingetrocknetem Blut rochen, während all diese Dinge wie unruhige, unerbittliche Wellen auf das nackte Individuum am Strand schlugen, gab es nur einen Fluchtweg und eine Möglichkeit zum Rückzug: die innere Landschaft. Dieses weitgestreckte Land der Dämmerung ohne äußere Grenzen, in dem jeder Mensch, wenn er nur will und sich Mühe gibt, Asyl und die Freiheit findet, in dem Takt und in die Richtung zu gehen, die er selbst für sich wählt. Oder einfach nur still zu sitzen. So ist es. Oder so kann es zumindest erscheinen, man möchte es sich gern einbilden, doch davon später mehr.
    Es gibt zwei Sorten vonTaxifahrern, das ist eine bekannte Tatsache: die Redseligen und die Schweigsamen. Lars Gustav Selén gehörte von Anfang an – von diesem merkwürdig langgezogenen heißen Herbst 1971 an, in dem das erste Kernkraftwerk des Landes in Betrieb ging und in dem Birgit Nilsson vor 10.000 begeisterten Zuhörern in Göteborg die Aida sang – zu Letzteren. Er sagte nie ein Wort zu viel. Wenn der Kunde reden wollte, erstarb das Gespräch innerhalb einer Minute. Mit Lars Gustav Selén zu diskutieren, das war, wie mit einer Wand zu reden oder mit einem Tauben. Stammkunden wussten von der Sinnlosigkeit des Versuchs, eine Konversation anzufangen, neue lernten es bald. Worte, die keinen anderen Worten begegnen, verstummen aus Scheu und Scham. So ist es nun einmal.
    Auch mit den Arbeitskollegen, Bergman, dem jungen Lindegren und Alexandersson redete er nicht. Nicht mehr, als unbedingt nötig war. Sie hatten einen Unterstand am Bahnhof; Alexandersson und Bergman spielten dort Karten oder legten Patiencen, der junge Lindegren blätterte lustlos und verschlafen in Zeitschriften wie Lektüre oder FIB Aktuell . Selén las Bücher, seine innere Welt wuchs.
    Der junge Lindegren und Alexandersson blieben bis Ende der Achtziger, Bergman ging 1995 in Pension. Es kamen andere, einmal sogar eine Frau, aber das währte nur kurz. Sie hieß Petterson mit nur einem s, kam aus Mora und war frisch geschieden. Vielleicht hatte sie ja eine Affäre mit Bergman. Anfang des neuen Jahrhunderts hießen die Fahrer Hansson, Rumbowsky und Lund. Und Selén.
    Neue Autos gab es auch. Immer Volvos, so war es schon seit den Fünfzigern. Irgendwann war es der junge Lindegren, dem die Firma gehörte, aber da fuhr er nicht mehr selbst. Höchstens ausnahmsweise, wenn mindestens zwei der vier üblichen Fahrer Grippe hatten oder anderweitig verhindert waren.
    Die Arbeitszeiten variierten, Lars Gustav Selén war es gleich, wann er fuhr. Morgens, tagsüber oder abends. Zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens waren keine Autos unterwegs. Wenn Leute mitten in der Nacht fahren wollten, mussten sie anrufen und mindestens eine Stunde warten. Oder im Voraus bestellen. So war es immer schon gewesen.
    Wenn er nicht Taxi fuhr, las er oder schrieb. Schrieb und las. Lieh sich Bücher in der Bibliothek in der Kvarngatan aus; in der alten und

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