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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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ein Mann im Anzug mit einem augenbrauengroßen Schnurrbart auf. Leya erkannte ihn vom Morgen wieder, als sie das Hotel verlassen hatte.
    »Mr. Skrupka? Dreihundertfünfundzwanzig, oder?«
    Leya nickte, und sie fuhren gemeinsam mit dem Fahrstuhl hoch.
    Plötzlich überfiel sie ein Gefühl der Scham, als er ihr die Tür aufhielt, schließlich hatte sie in dem schönen Doppelbett da drinnen die Nacht verbracht, und etwas sagte ihr, dass er davon wusste. Aber meine Güte, dachte sie, wir sind ja wohl erwachsene Menschen, oder?
    Das Zimmer war leer. Und die Peinlichkeit schnell verschwunden. Die Frage war, wodurch sie ersetzt wurde. Erleichterung? Und wenn ja, worüber?, dachte sie. Darüber, dass er zumindest nicht tot im Bett lag? Jedenfalls schien der Zimmerservice seinen Job gemacht zu haben. Alles sah ordentlich und sauber aus, kein Kleidungsstück war zu sehen, und sie dachte, dass sie ihn nie hätte allein lassen sollen.
    Sie hätte am Morgen bei der Bank anrufen sollen und sich krankschreiben lassen, das hatte sie sich sogar überlegt. Denn in diesem Fall, wenn sie es getan hätte, dann müsste sie jetzt nicht hier mit diesem Langweiler von Chefrezeptionist stehen – denn sie war sich sicher, dass er das war – und keine Ahnung haben, was sie bloß machen sollte.
    »Mr. Skrupka scheint nicht da zu sein«, konstatierte er nur und strich sich über den Schnurrbart.
    »Nein, das sehe ich auch«, nickte Leya und fand ihre Tatkraft wieder. »Könnten Sie mir helfen, die Polizei anzurufen?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob …«, setzte der Chefrezeptionist an und sah plötzlich fast erschrocken aus. Aber er brachte seinen Satz nicht zu Ende, denn Leya holte ihr Handy heraus.
    »Schon gut, ich mache es selbst. Danke, wären Sie so nett, mich jetzt allein zu lassen.«
    Er zögerte eine Sekunde, dann schlug er die Hacken zusammen und verließ das Zimmer.
    Die Metropolitan Police war insgesamt hilfsbereit und zuvorkommend. Eine Frau, die anscheinend Raucherin und spätes Mittelalter war, hörte konzentriert zu und nahm Leyas Angaben entgegen.
    »Was mache ich jetzt?«, fragte Leya, als alles notiert war.
    »Sie müssen warten. Wir melden uns, sobald wir etwas erfahren. Es ist ja trotz allem nicht sicher, dass Ihrem Freund etwas zugestoßen ist.«
    »Ich bin mir sicher«, sagte Leya.
    »Wir werden tun, was wir können«, versprach die Frau.
    »Gibt es … gibt es etwas, was ich währenddessen tun kann? Entschuldigen Sie, aber es fällt mir schwer, nur einfach zu warten.«
    »Wenn Sie wollen, können Sie die Krankenhäuser anrufen«, schlug die Frau vor. »Das werden wir natürlich auch tun, aber wenn ich Sie wäre, würde ich das auch selbst in die Hand nehmen.«
    »Danke«, sagte Leya, »vielen, vielen Dank. Aber Sie lassen auf jeden Fall von sich hören? Ich meine …«
    »Das werden wir tun«, versicherte ihr die Frau, und dann legten sie auf.
    Krankenhäuser?, dachte Leya. Wie ging man da vor? Konnte man einfach anrufen und fragen?
    Sie zog ihre Jacke aus und beschloss, jedenfalls erst einmal im Hotel zu bleiben. Offenbar hatten die sich mit ihrem Wort zufriedengegeben und glaubten, dass sie Milos’ Freundin war. Es schien nicht so, dass sie Leya aus seinem Zimmer vertreiben wollten.
    Und wenn es trotz allem die andere Alternative war, die zutraf – dass er sie angelogen und ausgenutzt hatte und nicht mehr an ihr interessiert war –, ja, dann würde er ja ganz einfach früher oder später hier auftauchen. Wahrscheinlich sogar ziemlich bald, da diese Feier um acht Uhr beginnen sollte, und inzwischen war es bereits fünf nach sechs.
    Denn das würde er ja wohl nicht auch erlogen haben?
    Es lag ein altmodisches Telefonbuch zwischen den Broschüren auf dem Schreibtisch; sie setzte sich und begann nach Krankenhäusern in London zu suchen. Sie vermutete, dass sie in einer besonderen Rubrik aufgelistet waren, und dem war auch so.
    Sie schluckte, holte tief Luft und wählte die erste Nummer.
    Musste aber wieder auflegen, bevor jemand antworten konnte, weil sie ganz unvermutet zu weinen anfing.

58

    E s dauerte bis Viertel nach sechs, erst dann erwischte Maud endlich ihre Tochter, und eigentlich hätten sie zu diesem Zeitpunkt bereits im Auto auf dem Weg zum Restaurant sitzen müssen. Leonard hatte jedoch – aus unbekanntem Grund – die Abfahrt auf halb sieben verschoben. Das war zwar immer noch anderthalb Stunden vor dem vereinbarten Termin, also gab es genügend Zeit, aber sie hatte aufgehört, sich in seine

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