Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
Vom Netzwerk:
Küche saßen und ihr schmackhaftes, gut gewürztes Gulasch aßen und den fantastischen Amaronewein tranken, von dem ich nicht weiß, wo sie den hatte besorgen können. Während wir auf dem roten Sofa im Wohnzimmer saßen, mit Calvados und Zigaretten, und langsam und behutsam das ernsthafte Spiel begannen.
    Während wir uns liebten natürlich, wie zwei Verdurstende nach einer langen Zeit in der Wüste. Während wir hinterher ausgestreckt auf dem Bett lagen und weitere Zigaretten rauchten und miteinander redeten. Während die Dämmerung sich langsam einschlich und während wir uns von Neuem liebten.
    Ja, natürlich war es so, dass ich bereits damals wusste, dass es eine Wanderung auf dünnem Eis war, es war die schönste und wichtigste Wanderung in unserem Leben, sowohl in ihrem als auch in meinem, aber als wir das andere Ufer erreicht hatten, kurz bevor das Eis brach, kurz bevor ein neuer Alltag anbrach, war es auch schon vorbei.
    War es das wirklich? Ich versuche alles nach sechs Jahren der Sehnsucht zu verstehen, und bereits während ich das Wort Sehnsucht schreibe, weiß ich, dass ich die Arena der Lügen betrete. Ich habe mir dieses Notizbuch besorgt, weil ich plötzlich das dringende Bedürfnis hatte, alles aufzuzeichnen. Meine deutsche Geliebte Gisela hat vor einem Monat Schluss gemacht, und ich bin in Berlin geblieben, nur um diese Geschichte niederzuschreiben. Gisela ist bereits verschwunden, wie so viele andere Frauen, aber ich weiß, dass Carla nie verschwinden wird. Nicht auf diese Art; kurz und schmerzlos, sechs Jahre zu spät wird mir das klar.
    Aber ich schweife ab. Zurück nach Prag, in den März 1974.
    »Also, so leben wir hier«, sagte sie am folgenden Morgen, als wir Arm in Arm am Küchenfenster standen und auf die erzgraue Wohnlandschaft blickten. »So sieht es hier aus. Man muss lernen, den Blick nach innen zu richten. Man muss sein eigenes Leben sorgfältig aufbauen. Man muss privat sein, verstehst du, was ich damit meine?«
    »Aber du hast gesagt, Prag sei eine wunderbare Stadt.«
    »Das hier ist ein Vorort von Prag, das ist der Unterschied.«
    »Das sehe ich.«
    »Siehst du das etwas höhere Haus hinter dem Marktplatz, ein Stück weiter links? Da wohnt meine Schwester mit ihrer Familie. Die Schule, an der ich unterrichte, liegt vier Stationen mit der Straßenbahn entfernt. Es gibt hier auch einen Park, der wirklich schön ist, besonders im Frühling. Wenn du am Nachmittag mit mir kommst, kannst du dort spazieren gehen. Ich habe nur eine Doppelstunde. Macht es dir Angst?«
    »Warum fragst du, ob es mir Angst macht?«
    »Weil es mir vielleicht Angst machen würde, wenn ich in deinen Schuhen steckte. Das hier ist meine Welt, Leon. Das hier ist das sozialistische Paradies.«
    Wir verließen das Fenster und setzten uns an den Küchentisch. Ich hatte ein taubes Gefühl in den Adern, und ich wusste, dass es Carla genauso ging. Wobei das kaum überraschend war, wir wussten beide, dass es an so einem Morgen so sein musste. Wir hatten vier Wochen Zeit, die Stimmungen würden kommen und gehen, was wir genau in dem Moment spürten, war nicht wichtig, wichtig war, was wir in zehn, fünfzehn oder zwanzig Tagen fühlen würden. Trotzdem fragte ich:
    »Ich habe Wolf getroffen, wusstest du das?«
    Sie hob eine Augenbraue, aber ich konnte nicht sagen, ob ihre Verwunderung echt war oder gespielt.
    »Das wusste ich natürlich nicht. Ich weiß überhaupt nicht, wer dieser Mann ist. Ich habe nicht gedacht, dass er wieder auftauchen würde.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich. »Aber er hat versprochen, dass es das letzte Mal war.«
    Sie saß schweigend da und überlegte. Ich dachte, dass sie so schön und geheimnisvoll war wie immer, unsere Beziehung aber auf gewisse Weise eine neue Schwere bekommen hatte. Sie war nicht nur die Frau, die ich liebte, sie war ein Teil meines Lebens und meiner selbst geworden. Es kam mir in den Sinn, dass wir sehr wohl in zwei, fünf oder zehn Jahren genau an diesem Küchentisch sitzen konnten – wenn wir uns dazu entschieden, das zu tun –, und das war ein Gedanke, mit dem ich nicht so recht umgehen konnte. Da sie nichts sagte, fragte ich:
    »Werde ich überwacht? Ich habe gestern niemanden gesehen …«
    »Die wissen, dass du hier bist, da kannst du sicher sein. Aber es gibt keine Wanzen in den Wänden, wenn es das ist, was du meinst.«
    »Das habe ich nicht gemeint … aber woher kannst du das wissen?«
    »Ich habe es überprüft«, antwortete Carla. »Kommst du heute Nachmittag mit

Weitere Kostenlose Bücher