Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
Vom Netzwerk:
Erfahrungen vier Jahre zuvor. Wir blieben einige Semester lang zusammen, immer loser, und dann wurde ich von der großen Leidenschaft überwältigt. Es geschah in meinem letzten Semester, und das Objekt stand am Katheder des Hörsaals: der junge Psychiatrieprofessor Ralph deLuca.
    Ich war 23, er war 31. Um eine kurze Geschichte noch kürzer zu machen; wir gingen ein Verhältnis ein, ich wurde schwanger, und wir heirateten einen Monat, nachdem ich mein Examen abgelegt hatte, einen Monat, bevor ich gebären sollte. Zu dem Zeitpunkt war die Leidenschaft schon vergangen.
    Ich bekam Zwillinge. Gregorius und Irina. Es sind meine einzigen Kinder, und ich liebe sie mehr als alles andere auf der Welt.
    Aber die Ehe mit Ralph war eine Katastrophe. Ich kann es nicht anders beschreiben. Er hatte eine psycho-dynamische Ansicht, was seelische Fragen betraf, er hatte eine Weile mit Laing verkehrt und Janov getroffen; wenn wir uns liebten, war es eher eine Frage von Primärtherapie als sonst etwas. Wir sollten uns zurück zu Affen regredieren, zu dem ungeborenen Kind in uns und Gott weiß was. Nach nicht einmal einem Jahr erklärte ich, dass ich es nicht mehr aushielt, dass wir uns gegenseitig wahnsinnig machten, und aus irgendeinem Grund stimmte er mir zu. Es ging nicht mehr mit uns beiden, ich glaube, es war das erste Mal seit unserer Hochzeit, dass wir tatsächlich in einem Punkt einer Meinung waren.
    Ich behielt die Kinder und die Wohnung; er zog aus, und nach ein paar Monaten hatte er eine neue Studentin gefunden. Vielleicht hatte er sie auch schon früher gefunden, was weiß ich.
    Wenn ich an all das zurückdenke, erscheint es mir so unglaublich weit weg. Wie etwas, das in einem anderen Leben stattgefunden hat oder mit jemand anderem als mir in der Hauptrolle. Doch das betrifft nur mein Privatleben. In meinem Berufsleben, in der Rolle der Therapeutin, habe ich mich immer zu Hause gefühlt und die Hauptrolle eingenommen. Nein, das stimmt so nicht ganz: Es sind natürlich die Klienten, die diese Position einnehmen, er oder sie ist es, der ganz vorn auf der Bühne steht, dieser Antibühne, die das therapeutische Sprechzimmer bei jeder Sitzung darstellt. Der einzige Platz im Leben, an dem von uns nicht erwartet wird, dass wir irgendeine Rolle spielen. Ich merke, dass ich mich in schlecht gewählten Bildern verirre.
    Leonard Vermin war wohl kaum ein Vogeljunges, als er in meiner Praxis auftauchte, doch unsanft behandelt worden, das war er. Ich lebte zu dem Zeitpunkt seit fast zehn Jahren allein, mein Leben, das waren meine Arbeit und meine Kinder. Dass ich ihn in mein Dasein ließ, kann als leichtsinnig gedeutet werden, ich wäre die Erste, die das unterschreibt, aber wenn wir uns wirklich die Zeit nehmen würden, unsere Entscheidungen ordentlich vorzubereiten, dann würden viele von uns wahrscheinlich an der Wegkreuzung stehen bleiben, bis es zu spät ist. Viel zu spät. Antreten zum Tanz, wie gesagt.
    Nun gut, meine therapeutische Seite erscheint immer stumpfer, und worin dieser Londonbesuch münden wird, davon habe ich immer noch nicht die geringste Ahnung.
    Ich spüre nur eine schleichende Unruhe.

11

Leonard Das gelbe Notizbuch
    A ls ich nach Hause nach Earl’s Court kam, war mein erster Gedanke, dass ich die Tasche öffnen und den Inhalt überprüfen sollte. Doch aus dieser überaus logischen Aktion wurde nichts, als sich herausstellte, dass sie sich nicht unauffällig durchführen ließ. Nicht ohne eine Beschädigung. Nachdem ich es eine Weile vorsichtig mit einem Küchenmesser und auseinandergebogenen Büroklammern versucht hatte, musste ich mir eingestehen, dass es so war; es wäre sicher möglich gewesen, dem Schloss mit irgendeiner Form von Gewalt beizukommen, aber dann würde man zweifellos bemerken, dass ich es getan hatte. Mein Instinkt sagte mir, dass ich mit so einer Entwicklung nichts gewinnen würde.
    Meine Neugierde siedelte natürlich gleich neben dem Instinkt, und den ganzen Abend über kamen und gingen sie abwechselnd. Ja, da ich nicht vor drei Uhr einschlafen konnte, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass sie mir die Nacht hindurch auch noch Gesellschaft leisteten. Auf der eher praktischen Ebene widmete ich diese späten Stunden meiner Wohnung, richtete sie ein, soweit das möglich war. Ich legte Klei dung und diverse Dinge in Schränke und Schubladen. Putzte die Küche und das Bad einigermaßen sauber. Stellte Bücher in einen alten, klapprigen, aber schönen Bücherschrank, ein Überbleibsel des

Weitere Kostenlose Bücher