Himmel über London
Schatten hervorholte, verlässt uns, und ich erkläre ihm mein Anliegen.
»Ja, natürlich«, sagt der Pinguin. »Alles ist notiert. Eine Gesellschaft von sechs Personen, am Donnerstag nächster Woche. Aus einem besonderen Anlass, wenn ich mich nicht irre …?«
Ich bestätige, dass alles seine Richtigkeit hat, auch das mit dem Anlass.
»Es ist notwendig, dass wir etwas für uns sitzen.«
Er verneigt sich und weist mir den Weg.
»Ich habe an diesen Tisch gedacht. Wenn er Ihren Erwartungen entspricht?«
Ich schaue mich um und stelle fest, dass er wirklich meinen Erwartungen entspricht. Der ovale Tisch mit sechs hochlehnigen Stühlen steht in einem eigenen Alkoven des nicht besonders großen Lokals, wenn man sitzt, befindet sich kein einziger anderer Tisch im Blickfeld. Ich nicke und erkläre, dass er sich ausgezeichnet eignet. Frage, ob es möglich ist, bereits jetzt eine Speisekarte mitzunehmen, damit ich ein paar Tage vorher anrufen und meine Bestellung abgeben kann.
»Das Einzige, was ich nicht garantieren kann, das ist der Fisch«, erklärt er und überreicht mir zwei in Leder gebundene Speisekarten, die eine schwarz, die andere rot. »Wir bekommen ihn täglich frisch geliefert, und es lässt sich nicht voraussagen, welcher Fisch es genau werden wird. Aber er ist immer von höchster Qualität, Seeteufel oder Meeresbarsch sind das Übliche, aber es kommt auch vor, dass wir Seezunge anbieten können. Austern und andere Schalentiere haben wir zu dieser Jahreszeit natürlich auch. Das Rote ist die Weinliste.«
Ich wiederhole, dass alles zu meiner Zufriedenheit ist, er fragt, ob ich ein Glas Champagner probieren möchte, wo ich schon einmal hier bin, doch ich lehne dankend ab. Verlasse ihn und trete wieder hinaus auf die Great Portland Street.
Winke mir ein Taxi heran und bitte den Fahrer, mich nach Knightsbridge zu fahren. Wenn ich schon dabei bin, kann ich das Hotel auch gleich inspizieren.
Doch während wir die Edgware Road entlangschleichen, übermannen mich die Schmerzen; ich habe meine Tabletten vergessen und gebe dem Fahrer die Anweisung, mich stattdessen zur Chepstow Road zu bringen.
Es dauert eine Ewigkeit, wie mir scheint, ich beiße die Zähne zusammen und verfluche meinen Zustand, meinen Krebs und mein Leben. Vielleicht hätte ich trotz allem das Glas Champagner annehmen sollen. Vielleicht hätte es alles erleichtert. Als ich endlich wieder auf meinem Zimmer bin, gelingt es mir nur noch mit größter Mühe, die segensreichen Tabletten zu schlucken und ins Bett zu kriechen. Der verführerische Nebel breitet sich wie ein angenehmer Vorgeschmack auf den Tod in meinem Kopf aus, ich fühle mich bereit für was auch immer.
13
Milos
I n der Nacht vor seiner Abreise schlief Milos Skrupka nicht eine Sekunde lang. Doch das fand er nicht schlimm; das Flugzeug sollte abends starten, da war es nur gut, übermüdet zu sein, so konnte er die sechs Stunden schlafen und war dann ausgeruht, wenn er am folgenden Morgen in London ankam. Es war das zweite Mal, dass er wieder zurück über den Atlantik flog, seit er als Fünfzehnjähriger in die USA eingereist war. Einmal, Ende der Neunziger, hatte die Familie noch einmal einen Besuch in Tschechien und der Slowakei gemacht. Nur zehn Tage, sie hatten bei Bekannten in Prag und in Bratislava gewohnt, und er hatte keine besonders guten Erinnerungen daran, weder an die Reise noch an den Aufenthalt.
Als er im Bus hinaus zum JFK saß, fiel ihm ein, dass er niemandem erzählt hatte, wohin er unterwegs war. Nicht einer Menschenseele, weder Zlatan noch Phil oder Mr. Jan Kopper. Sollte beispielsweise das Flugzeug abstürzen, würden sie zweifellos ziemlich überrascht sein, wenn sie erführen, dass er umgekommen war.
Zunächst war der Gedanke nur ein makabrer Scherz, doch bald spürte er, dass er ihn nicht mehr loswurde. Schließlich rief er bei seinen beiden Schwestern an, erreichte jedoch keine von ihnen, hinterließ aber auf Helkas Anrufbeantworter eine Nachricht. Erklärte kurz, dass er auf dem Weg nach London sei und in einer Woche wieder zurückkomme. Das erschien ihm wie eine Absicherung, er wusste nur nicht genau, wogegen.
Insgesamt war Milos in seinem Leben erst zehn, zwölf Mal geflogen, und es war das erste Mal, dass er in der Businessclass reiste. Als er sich auf dem bequemen Sessel ausstreckte und von einer lächelnden, blau kostümierten Stewardess ein Glas Champagner entgegennahm, meinte er plötzlich, den Sinn des Lebens zu verstehen. Nach fünfunddreißig
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