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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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fest. Aus seinem alten, tristen Dasein auszusteigen und in ein neues umzuziehen.
    Die beiden machen einen Spaziergang außerhalb der Stadt, unser Held zieht seinen Revolver und tötet den Fremden. Er übernimmt dessen Sachen und verbrennt die eigenen. Reitet dann mit einer neuen Identität und einem neuen Leben in die nächste kleine Westernstadt. Einfach und schmerzlos.
    Das Problem ist nur, dass sich herausstellt, dass der Fremde wegen Mord und Eisenbahnüberfällen und anderer Dinge gesucht wird, und als unser Held in den Saloon einmarschiert, landet er direkt in den Armen einer Truppe, die hinter ihm her ist. Der Prozess ist kurz, und vor der Abenddämmerung baumelt er am Galgen.
    Hm, dachte Gregorius und trank einen vorsichtigen Schluck. Vielleicht doch nicht ganz so. Aber was ihn betraf, so wollte er zwar seine alte Identität loswerden, ohne jedoch unbedingt eine neue zu stehlen. Besser, eine zu erfinden. Irgendwie zu verschwinden, ohne wiedergefunden zu werden. Als Paul F. Kerran wiederauferstehen.
    Er zündete sich eine Zigarette an und dachte, dass es zweifellos nicht schlecht war, für tot erklärt zu werden. Mit einem Fahrzeug zu versinken beispielsweise oder sich ganz einfach von einer Großstadt schlucken zu lassen … beispielsweise London. Er konnte ja irgendeiner osteuropäischen Mafia zum Opfer fallen oder wem auch immer. Mit einem Klumpen Zement an den Füßen in der Themse landen. Verschwunden, nie wiedergefunden. Nach angemessener Zeit für tot erklärt.
    Doch zunächst … zunächst musste er natürlich sein Erbe antreten. Was auch immer in Leonard Vermins verfluchtem Testament stand, so gab es kein Vermächtnis für Paul F. Kerran, das war klar. Sich also in Geduld üben. Es gab keinen anderen Ausweg. Abwarten und die Daumen drücken, dass Leonards letzte Tage hier auf Erden gezählt sein mochten.
    Aber dass er so rechtzeitig sterben würde, dass Gregorius nicht zurückkehren und mit Herrn und Frau Perhovens konfrontiert wurde, ja, von so einer komfortablen Entwicklung konnte man wohl nicht einmal träumen?
    Wenn man nicht ein wenig nachhalf, natürlich.
    Als er diesen Gedanken zu Ende dachte, fühlte er sich fast wieder nüchtern. Nachhelfen?
    Nein, dachte Gregorius Miller, jetzt komme ich aber vollkommen aus dem Konzept. Man darf ja nicht alle Grenzen überschreiten. Er trank einen Schluck und nahm sich eine Zeitung, die zusammengefaltet auf dem Tisch lag. Blätterte gedankenlos in ihr herum, doch dann fiel sein Augenmerk auf einen Artikel auf Seite sieben.
    Der handelte von einem Mörder, der offenbar in London sein Unwesen trieb. »The Watch Killer« wurde er von dem Journalisten genannt, und er hatte mindestens fünf Leben auf dem Gewissen. Das Attribut hatte er erhalten, weil er die Angewohnheit besaß, seinen Opfern eine Armbanduhr umzubinden, eine Armbanduhr, die nach allem zu urteilen zum Zeitpunkt des Mordes stehen blieb.
    Verrückt, dachte Gregorius. Was zum Teufel war das für ein krankes Gehirn, das hinter so etwas steckte? Er las weiter. Die Polizei sah keine unmittelbare Verbindung zwischen den Menschen, die durch diesen Wahnsinnigen ihr Leben verloren hatten, und man bat die Allgemeinheit um Hilfe. Alle Opfer waren im sogenannten Groß-London gefunden worden. Die Armbanduhren an ihren Handgelenken waren einfachster Art, aber es gab unterschiedliche Modelle. Ansonsten hatte man keine Spur, keinen Verdacht.
    Das war im Großen und Ganzen alles. Gregorius gähnte. Er fühlte, wie sich ein müder, wohlvertrauter Ekel in ihm festsetzte, höchstwahrscheinlich lag das an dem sinkenden Alkoholgehalt seines Blutes, dieses Phänomen war ihm nicht unbekannt. Aber er konnte nicht die ganze Zeit weiter Bier und Whisky trinken, es war erst früher Nachmittag, und wahrscheinlich war es besser, eine gewisse Gedankenschärfe zu behalten.
    Er konnte nicht so recht sagen, wozu das nötig sein sollte, schob aber dennoch das erst zur Hälfte geleerte Bierglas von sich und verließ den Pub. In der Türöffnung kam ihm die Identitätsfrage wieder in den Sinn. Auch wenn die Sache in Erwartung von Leonards baldigem Dahinscheiden erst einmal ruhen musste, so konnte man ja vielleicht schon einiges vorbereiten? Sich beispielsweise einen Packen Visitenkarten besorgen. Das würde doch sicher von Nutzen sein, noch bevor der definitive Schritt gemacht worden war.
    Zufrieden mit diesem einfachen Beschluss lenkte Gregorius seine Schritte Richtung Soho, wo es doch sicher von Läden nur so wimmelte, die einen

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