Himmel über London
Buchhaltung wieder in bester Ordnung sein sollte.
Ansonsten winkte das Gericht, wie gesagt.
Bonbondose hin, Bonbondose her, dachte Gregorius und leerte sein drittes Guinness. Der Tag der Abrechnung. In gut einer Woche. Was zum Teufel soll ich nur machen?
Er beschloss, die Kneipe zu wechseln. Das war immerhin ein Anfang.
Die neue hieß The Deer Hunter und lag zum Ufer hin. Er bestellte sich einen kleinen Whisky und ein Pint London Pride, jetzt nach dem Mittag war es an der Zeit für etwas leichtere Getränke. Während er an einem Fenstertisch saß und teilnahmslos den Verkehr und die vorbeieilenden Menschen betrachtete, fiel ihm der Plan, die Identität zu ändern, wieder ein. Wie kompliziert war so eine Operation eigentlich? Er nahm an, dass es vermutlich nicht so schwierig sein konnte, wenn man nur Geld hatte. Geld öffnete jede Tür, es war müßig, das zu konstatieren, aber wenn es darauf ankam, dann waren Menschen ziemlich simple Tiere. Man muss die Dinge nur richtig anpacken, dachte Gregorius Miller, ohne richtig zu verstehen, was er eigentlich damit meinte, aber das Privileg des simplen Tieres war es doch, dass es sich den Gegebenheiten anpassen konnte, oder etwa nicht? Dank dieser Eigenschaft war es zum ungekrönten König der Welt geworden.
Wie genau diese Schlussfolgerung mit seiner eigenen momentanen Situation zusammenhing, das verlor er aus den Augen, während er die Toilette aufsuchen musste – doch dass Leonard Vermin, der bald sterbende Stiefvater, eine entscheidende Rolle in diesem Zusammenhang spielte, daran herrschte kein Zweifel. Im weiteren Verlauf, während er Whisky Nummer zwei und Bier Nummer zwei (fünf, wenn man die Vorgeschichte mit einbezog) trank, widmete er sich der Berechnung der möglichen Ausbeute der Feier am folgenden Tag.
Er erinnerte sich, dass er Irina gegenüber im Auto von fünfzig Millionen gesprochen hatte – zwölfeinhalb für jeden, wenn man ihre Mutter Maud abzog –, und er fragte sich, wie nahe diese Schätzung wohl der Wahrheit kam. Er hatte keine weitergehenden Untersuchungen angestellt, wie er es möglicherweise Irina gegenüber angedeutet hatte, und vielleicht war das sogar eine zu niedrige Summe. Vielleicht saß Leonard auf noch viel mehr Geld? Er besaß zwei Zeitungen, eine große und eine kleine, er war Teilhaber an verschiedenen Medienkonzernen, und er besaß Häuser. Zum Teufel, dachte Gregorius, der Kerl könnte für hundert Millionen gut sein! Eines Tages werde ich darüber lachen, dass ich hier gesessen und mir Sorgen gemacht habe!
Er beschloss, sich auf diese Zukunft zu konzentrieren, goldumrahmte Tage, in denen er eine feste Adresse in Primrose Hill oder Holland Park oder oben in Hampstead hätte … jedenfalls sollte es genau hier in London sein, und wenn er nicht mehr Gregorius Miller hieß, sondern … ja, wie sollte er dann heißen? Er nahm einen großen Schluck und begann über passende Namen nachzudenken, und bald merkte er, dass diese Überlegungen viel amüsanter waren, als dazusitzen und über Sylvia und Eric Perhovens zu grübeln.
David S. Mulholland?
Eugen G. Brahms?
Er war sich sicher, dass er ein Initial haben wollte, irgendwie hob das den Namen aus der Menge heraus. Selbst John W. Smith klang gut. Oder warum nicht Smythe? John W. Smythe?
Aber vielleicht sollte es weniger englisch klingen. Wäre es nicht besser mit einem eher kontinentalen Klang? Ein Name, der nicht ohne weiteres auf ein bestimmtes Land zurückzuleiten war?
Er nickte entschlossen. Genau. Ein Name ohne Heimatland! Das war es genau, was er brauchte. Es war noch ein London Pride nötig – doch dieses Mal ohne Whisky, er wollte ja nicht betrunken werden –, damit es ihm einfiel.
Paul F. Kerran.
Er rülpste zufrieden. Paul F. Kerran war perfekt.
Leben Sie wohl, Mr. Miller, willkommen, Mr. Kerran. Plötzlich erinnerte er sich an eine alte Geschichte, die er einmal gelesen hatte, sie handelte von zwei Männern, die sich zufällig in einem kleinen Ort irgendwo in Texas oder Oklahoma trafen. Man folgt den Gedanken und Überlegungen des einen Mannes; er ist auf der Flucht vor einer schrecklichen Ehe, vor Schulden, Elend und einem verpfuschten Leben im Allgemeinen, und als er in einer verstaubten Bar auf den Fremden stößt, da beginnt er seine Lage zu beschreiben, und im Laufe des Gesprächs kommt er auf die Idee, einfach das Leben des anderen zu stehlen. Sie sind sich ziemlich ähnlich, im selben Alter, haben die gleiche Statur und so weiter. Die Idee beißt sich in ihm
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