Himmel über London
allem auf eine Dominanzsituation hindeuteten. Er erkannte diese Tendenzen wieder, bei Judith, der Mutter seiner Tochter Anna, war es das Gleiche gewesen und bei ein paar anderen Frauen auch, mit denen er um Haaresbreite zusammengezogen wäre. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, wie es zwischen ihm und Sylvia in ein paar Jahren aussehen würde, wenn es wirklich so weit käme.
Zu dem Bild gehörte, dass sie verheiratet war. Ihr Ehemann hieß Eric Perhovens, und er war Gregorius’ Chef. Er besaß eine Restaurantkette, in der Gregorius seit zwei Jahren als Vertriebs leiter arbeitete. Es war keine größere Kette, insgesamt fünf Lokale in ebenso vielen Städten, aber diese waren von hoher Qualität, und es war Gregorius’ Job, dafür zu sorgen, dass die Leute sich für Earnest Eric entschieden, wie die Restaurants in allen fünf Städten hießen.
Und bis jetzt taten die Leute das – sowohl mittags als auch abends. Mit einer einfachen, aber ehrlichen Speisekarte und einer ehrlichen, aber nicht zu teuren Weinkarte konnte man weit kommen, das war Perhovens Philosophie. Er plante, seine Kette innerhalb der nächsten fünf Jahre von fünf auf sieben Lokale auszuweiten, mit Neugründungen in Kaalbringen und Saaren, und unter normalen Umständen war das keine Situation, in der man sich seines Vertriebsleiters entledigte. Bis vor drei Wochen war das auch nie ein Thema gewesen, in keinerlei Hinsicht, doch bei einer routinemäßigen Überprüfung der Bücher war ans Licht gekommen, dass rund fünfzigtausend Euro in der Kasse fehlten. Einige Stunden später war außerdem klar, dass es der Vertriebsleiter gewesen war, der sich einen Kredit genehmigt hatte, ohne jemandem etwas davon zu sagen.
Eric Perhovens und Gregorius Miller hatten darüber ein langes Gespräch geführt, Perhovens war kein unmöglicher Mistkerl, und er hatte Verständnis dafür, dass man ab und zu mal in die Bredouille geriet. Das war ihm früher im Leben auch schon einige Male passiert – aber man musste immer hinter sich aufräumen. Verdammter Scheiß, Miller, du bist doch kein Idiot? Du kapierst doch wohl, dass ich keine Leute beschäftigen kann, die ihre Pfoten nicht von der Bonbondose lassen können? Und dann hatte er Gnade vor Recht walten lassen und Gregorius einen Monat Zeit gegeben, um die Dinge wieder geradezubiegen. Wenn das Geld – plus angemessene Zinsen – nicht vor dem ersten Oktober wieder an Ort und Stelle war, dann war es ein anderes Geradebiegen, das ihn erwartete. So einfach war die Sache, und da gab es kein Wenn und Aber, denn für Perhovens gab es kein Wenn und Aber.
Gregorius hatte ihm versichert, dass es sich nie um etwas anderes als einen Kredit gehandelt habe und dass er selbstverständlich die fehlende Summe wieder beschaffen werde. Inklusive angemessener Zinsen. Er hatte das Geld gebraucht, um eine Krankenhausrechnung für seine an Parkinson erkrankte Cousine in San Diego zu bezahlen, so war es nun einmal, man ist ja auch nur ein Mensch, und Blut ist dicker als Wasser.
Und nach dem Ersten hast du keinen Job mehr, das ist ja wohl klar, hatte Perhovens hinzugefügt, das brauche ich einem gewitzten Kerl wie dir wohl nicht zu erklären? Wenn du wider Erwarten vergisst, die Kohle zurückzulegen, meine ich. Vielleicht hat diese Cousine ja noch andere Verwandte?
Gregorius hatte sich bei seinem Chef für seinen grundsoliden Humanismus bedankt und gedacht, dass – abgesehen von Perhovens’ so schnell fällig gewordenem Kredit – noch rund zehntausend fehlten, um einen gewissen Kokainlieferanten auf sicherem Abstand zu halten. Vor drei Monaten hatte er mit dem Kokain aufgehört, ein für alle Mal, aber das waren alte Schulden, und da war halt eins zum anderen gekommen. Plus die eine oder andere Pokerpartie, an der er nicht hätte teilnehmen sollen – ganz besonders konnte er sich an eine erinnern, bei der er einen Pott von mehr als sechstausend Euro verloren hatte, obwohl er mit einem Full House mit Königen und Zehnern in der Hand dagesessen hatte. Es stieß ihm heute noch sauer auf, wenn er daran zurückdachte, und er hatte sich jetzt vom Poker fast genauso lange ferngehalten wie vom Kokain.
Auf jeden Fall hatte Gregorius große Probleme, sich vorzustellen, dass der besagte Humanismus seines Arbeitgebers an dem Tag große Triumphe feiern würde, an dem er erfuhr, dass seine Sylvia ein Kind von seinem Vertriebsleiter erwartete.
An dem Tag, der sicher nicht viel weiter entfernt lag als der erste Oktober, an dem die
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