Himmel über London
investieren musste. Da ließ ich mich ernsthaft auf die Medienbranche ein, und dabei blieb es.
Doch diese Aufzeichnungen sollen nicht von meinen geschäftlichen Aktivitäten handeln, ich habe sie nur aufgrund einer Art von Rechtfertigungsdrang angemerkt. Um die Dinge begreiflicher zu machen. Eine andere Sache, die berichtet werden muss: Bevor wir beim 24. August angelangt sind, gelang es mir, meine Wohnung ein weiteres Mal zu wechseln, und dieses Mal landete ich in dem Viertel, in dem ich bleiben sollte, bis ich London ein für alle Mal verließ. Meine erste Adresse nördlich der Parks ist dieselbe wie die von J. M. Barrie, dem eigentümlichen Schöpfer von Peter Pan, um 1910 wohnte er für einige Jahre hier: Craven Terrace 18 in Paddington. Barrie war ein vermögender Mann, als er hier wohnte, und ihm stand natürlich das ganze Haus zur Verfügung. Was mich betraf, so herrschte ich – vom April 1969 bis zum Juli 1972 – über eine kleine Zweizimmerwohnung mit Küche oben unter dem Dach. Durch die dünne Schlafzimmerwand konnte ich nachts zweihundert Tauben und eine unbekannte Anzahl an Fledermäusen hören, fühlte mich jedoch nie gestört von diesen anspruchslosen Nachbarn. Und auch sie schienen sich von mir nicht stören zu lassen.
Ende April begann ich als Verkäufer im Buchladen Foyle’s in der Charing Cross Road zu arbeiten. Es wurde behauptet, es wäre der größte Buchladen der Welt, aber der Job war unglaublich schlecht bezahlt. Um diesen erbärmlichen Lohn zu kompensieren, fing ich an, täglich ein Buch zu stehlen, ich bekam den Tipp von einem Kollegen, der das Gleiche seit zwei Jahren tat, und es war zumindest eine Möglichkeit, sich eine Bibliothek aufzubauen und sich zu bilden.
Ich hatte einen freien Nachmittag in der Woche, und mit der Sturheit eines Idioten ging ich weiterhin jeden Donnerstag zu Bramstoke and Partners in der Hogarth Road.
34
L ars Gustav Seléns Vater ging keine neue Ehe mehr ein.
Stattdessen starb er. Es ereignete sich nur eine Woche, nachdem Kennedy, der Präsident der Vereinigten Staaten, in Dallas ermordet worden war, und seinem Tod wurde nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt.
Es war Ende November, die Ursache war ein Blutpfropfen im Gehirn; es geschah in der Nacht zum Totensonntag, und Doktor Braskens erklärte den rotverheulten, aber gefassten Söhnen, 14 und fast 16 Jahre alt, dass der Tod im Schlaf zu Teodor Selén gekommen war, er nicht hatte leiden müssen, etwas, wofür man dankbar sein sollte. Über Zeit und Eintreffen des Todes könne man nicht bestimmen.
Ansonsten gab es nicht viel, wofür man dankbar sein konnte. Da die Mutter der Jungen bereits seit mehreren Jahren mit ihrer neuen Familie in Dalsland lebte, wurde beschlossen, dass sich eine ältere unverheiratete Schwester des Vaters um sie kümmern sollte. Sie hieß Fräulein Ragnhild Beatrice Selén und humpelte, was wohl auch der Grund dafür war, warum sie nie geheiratet hatte. Wer genau entschied, dass sie die Fürsorgepflicht für ihre Neffen übernehmen sollte, das hatte Lars Gustav nie herausbekommen, aber es wurde jedenfalls als sehr passend und praktisch angesehen, dass diese Tante existierte. Bis zu ihrem sechzigsten Lebensjahr hatte ihr Leben keinen großen Sinn gehabt, jetzt bekam sie schließlich eine Aufgabe. Bereits am Tag vor der Beerdigung auf dem windigen Friedhof in K. zog sie aus irgend so einem winzigen Kaff tief in Norrland in das kleine Eternithaus im Gökvägen. Sie brachte zwei Pappkoffer und einen Dackel namens Ansgar mit sich. Der Hund und sein Frauchen waren ungefähr gleich redselig.
Es funktionierte. Tante Ragnhild bereitete Frühstück und Abendessen für die Jungs, wenn notwendig auch Mittagessen. Sie putzte, wusch und kochte Johannisbeersaft ein. Ansonsten mischte sie sich nicht in ihr Leben ein, und als Sven Martin drei Jahre später nach Ljungby zog, um dort Tischler zu werden, gab sie ihm als Reiseproviant eine Bibel und eine Schachtel Aladdin mit.
Lars Gustav war zu diesem Zeitpunkt siebzehn Jahre alt, hatte angefangen zu rauchen und ging im zweiten Jahr aufs Gymnasium. Er hatte seinem Bruder in der Stunde des Abschieds kein Geschenk zu überreichen, wünschte ihm aber zumindest viel Glück, als sie auf dem Bahnsteig standen und sahen, wie der Zug einfuhr.
»Danke«, antwortete Sven Martin. »Tja, man sieht sich.«
»Bestimmt«, versicherte Lars Gustav, und das war es dann.
Weder Tante Ragnhild noch Ansgar hatten dem etwas hinzuzufügen. Letzterer hatte in
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