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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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brennenden Kerzen und Simon and Garfunkel auf ihrer ziemlich anspruchsvollen Stereoanlage befand.
    An diesem Abend.
    Es war ein Monat vor den Abiturprüfungen, genauer gesagt. Eigentlich sollten sie zu viert sein, aber die Klassenkameraden Leo und Birgitta waren verhindert gewesen. Genauer gesagt war Birgitta verhindert gewesen, da sie am selben Tag erfahren hatte, dass sie schwanger war, und sich nun in einem Zustand höchster Panik befand. Leo war zweifellos der schuldige Vater, sie waren seit fast einem halben Jahr zusammen, und vermutlich ging es ihm nicht sehr viel besser.
    Deshalb waren also Carla Carlgren und Lars Gustav Selén an einem zarten und vielversprechenden Abend Anfang Mai mit zwei Flaschen Rotwein allein in Carlas Zimmer. Das war eine Situation, die er sich bis dahin nie auch nur hatte vorstellen können, nicht einmal in seinen optimistischsten erotoromantischen Fantasien.
    »Du bist also Waise?«, fragte sie und zog an ihrer gerade entzündeten Prince.
    »In gewisser Weise«, antwortete Lars Gustav. »Ich habe eine Mutter, die abgehauen ist.«
    »Abgehauen?«
    »Ja.«
    »Und dein Vater?«
    »Tot.«
    »Ich verstehe.«
    Sie nahm noch einen Zug. Er fragte sich, was sie wohl verstehe. Trank einen Schluck Wein und gab ihre Frage zurück.
    »Und du? Ich meine …?«
    »Mein Vater sitzt im Gefängnis«, antwortete sie, und obwohl er sich halb wahnsinnig vor Nervosität und durch ihre Nähe fühlte, begriff er, dass sie ihm ein Geheimnis anvertraute.
    »Im Gefängnis? Was hat er denn gemacht? Ich meine …?«
    Das war eine alberne Wiederholung dieser Phrase hinsichtlich dessen, was er meinte, aber offenbar kümmerte sie sich gar nicht darum. Saß nur schweigend da und kaute auf ihrem kleinen Finger, das hatte er früher schon beobachtet, während des Unterrichts am Bungegymnasium, mit einem besorgten Blick, der sie noch schöner machte. Irgendwie verletzlich. Als bräuchte sie männliche Unterstützung und Fürsorge. Und was auch immer sonst noch.
    »Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen darf.«
    Lars Gustav nickte stumm.
    »Niemand weiß davon.«
    »Neihein …«
    »Du darfst es aber niemandem weitersagen.«
    »Ist doch klar, dass ich das nicht tue.«
    Sie tranken beide einen Schluck Wein und rauchten. Die Flammen der Kerzen flackerten von einem lauen Windzug, der durch das offene Fenster hereinwehte.
    »Mein Vater ist ein Spion.«
    »Was?«
    »Oder er war es. Er hat lebenslänglich wegen Spionage gekriegt. Vielleicht kommt er nie wieder raus. Deshalb sind wir hierher gezogen.«
    Alles drehte sich in Lars Gustav Seléns Kopf. Er konnte es nicht vermeiden, er musste an seinen eigenen Vater denken – und daran, dass diese Behauptung, die Carla Carlgren gerade von sich gegeben hatte, ebenso gut aus seinem eigenen Mund hätte kommen können. Ein Spion? Lebenslänglich für Spionage? Das klang nicht ganz gescheit.
    »Was hat er denn gemacht? Ich meine, für wen hat er spioniert?«
    »Für die Sowjetunion. Ja, für die Oststaaten überhaupt. Er hat wichtige schwedische Militärgeheimnisse verkauft, und sie sind ihm auf die Spur gekommen. Er war Oberst beim Verteidigungsstab, ja, das war vor drei Jahren.«
    In dem Moment fiel ihm Carlas mystischer Schimmer ein. Daher resultierte er also. War ja wohl logisch, dass man so einen Schimmer bekam, wenn der eigene Vater Spion war.
    »Stand das in den Zeitungen?«, fragte er. »Das muss es ja wohl? Obwohl, ich kann mich nicht daran erinnern, etwas darüber gelesen zu haben, dass ein Carlgren …«
    »Wir haben den Namen geändert«, unterbrach Carla ihn. »Ich wollte auch den Vornamen ändern, als wir schon mal dabei waren, aber das ging nicht.«
    »Rigmor?«
    »Ja. Der ist doch schrecklich, oder?«
    »Wenn ich an dich denke, dann heißt du immer Carla für mich.«
    Er konnte nicht sagen, wie sich so ein Satz in sein Gehirn hatte schleichen können. Wenn ich an dich denke. Vielleicht lag es am Wein, er spürte, wie er am ganzen Körper errötete.
    »Du denkst also an mich?«
    Aber sie klang nicht wütend. Im Gegenteil, ein wenig amüsiert eher. Vielleicht geschmeichelt. Er leerte sein Glas und schaufelte eine Portion Mut aus irgendeinem geheimen Reservoir, von dem er nie gewusst hatte, dass er es überhaupt besaß.
    »Natürlich tue ich das. Du bist die interessanteste Frau an der ganzen Schule.«
    Auch jetzt konnte er nicht sagen, warum er die Worte interessant und Frau gewählt hatte statt beispielsweise hübsch und Mädchen, aber hinterher, als er daheim in

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