Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
absolviert hatten, zogen sie sich in die Bibliothek zurück. Dort servierte Kurt Portwein und Cognac und reichte ein Ebenholzkästchen mit Zigarren herum. Während Horst von Wallerstein langsam und bedächtig das Deckblatt der Havanna anschnitt, begannen einige Herren bereits eine lebhafte Diskussion.
Natürlich beschäftigte zur Zeit nur ein Thema die Gemüter: die Revolution. Legationsrat Hartmann, ein dicklicher älterer Herr mit eisgrauem Backenbart, und Fritz von Eyersfeld, etwa gleich alt, aber schlank, fast hager, mit Monokel im linken Auge, waren lautstark einer Meinung.
»Diese Sozis sind die Pest«, sagte der Baron von Eyersfeld. »Mord und Totschlag hat es im März in Berlin gegeben.«
»Bin ganz Ihrer Meinung, lieber Baron«, stimmte ihm der Legationsrat zu, »aber nicht nur in Berlin, im ganzen Land hat es kriegsähnliche Ausmaße angenommen, tststs. Ich frage mich nur, wofür?« Er schüttelte verständnislos seinen großen Kopf.
»Immerhin haben die Anführer die Bauernbefreiung und Aufhebung der Pressezensur erreicht«, mischte sich nun Horst von Wallerstein ein. »Aber die Durchführung von Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung geht auf deren Konto«, ereiferte sich jetzt Graf Dühnkern, ein hochgewachsener Herr mit spärlichem Haarwuchs und einer stark gebogenen Nase über einem schmallippigen Mund. Horst von Wallerstein ließ sich von Kurt einen Cognac nachschenken. »Immerhin, man hat sich Posen einverleibt. Es gehört ab sofort zum Deutschen Bund.«
»Trotzdem eine Pest, diese Sozis, eine Pest«, schimpfte erneut Baron von Eyersfeld.
»Nun, es gibt aber auch eine starke Gegenbewegung zu der Revolution«, warf Hofrat von Saalfeld ein. »Dieser pommersche Junker, wie heißt er man noch – Bismarck glaube ich, der macht da mächtig von sich reden.«
»Ja, gerade habe ich in der Neuen Preußischen Zeitung einen interessanten Artikel von ihm gelesen«, fiel Horst von Wallerstein ein. »Er hat dieses neue Blatt ja wohl auch mitbegründet. Ich habe es sofort zusätzlich zur Hartungschen Zeitung abonniert.« Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre. »Sehr lesenswert, wirklich sehr lesenswert.«
»Alter altmärkischer Adel, die Bismarcks«, sagte nun Jesko von Kaulitz, der bisher der Unterhaltung interessiert gefolgt war. »Ich bin früher dort oft zur Jagd gewesen.«
»Na ja, inzwischen wohl etwas verwässert, dieser Adel«, näselte der Baron. »Die Mutter von diesem Bismarck ist eine Menken, schlicht und einfach nur Menke n …« Er hob indigniert die Augenbrauen. »Eine Kaufmannstochter aus dem Oldenburgischen. Einfach schrecklich, wenn man das vom züchterischen Standpunkt aus betrachtet.«
»Also Fritz, jetzt lass aber mal die Kirche im Dorf!«, lachte Jesko von Kaulitz gutmütig. »Unsere Altvorderen sind ja auch nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden.« »Und abgesehen davon, lieber Eyersfeld«, mischte sich Graf Dühnkern ein, »Otto von Bismarck hat vom züchterischen Standpunkt, wie Sie es nennen, schon alles wieder ins Lot gebracht. Letztes Jahr hat er Johanna von Puttkammer geheiratet. Ein reizendes junges Mädchen aus fabelhafter Familie. Ich konnte mich persönlich davon überzeugen, war nämlich in Rheinfeld auf der Hochzeit.«
Jesko von Kaulitz ging sein Freund Eyersfeld mit seinem Dünkel mal wieder gehörig auf die Nerven, und er erhob sich. »Ich verlasse Sie jetzt, meine Herren. Ich habe mich auf der Tanzkarte meiner überaus reizenden Cousine Elvira eingetragen und möchte sie nicht über Gebühr warten lassen.«
Während die Jugend unermüdlich tanzte, saßen die älteren Damen auf den an den Wänden aufgestellten Sesseln und Sofas und tranken ihren Mokka. Elvira hatte sich nach dem Essen etwas frisch gemacht und ließ sich nun strahlend neben Wilhelmine auf dem Sofa nieder, eingehüllt in eine Wolke von Parfüm. Wieder traf sie ein strafender Blick aus dem Lorgnon ihrer Freundin. »Musst du denn immer so schrecklich übertreiben, Elvira? Zu viel Parfüm, zu viel Dekolletee, zu viele Locken … in deinem Alter!«
Elvira lachte laut auf. »Was soll das denn heißen? Ich fühle mich einfach nicht alt, und erst recht nicht wie eine alte Witwe, auch wenn es dir nicht passt.« Ein Lakai servierte ihr einen Mokka, dann sprach sie weiter. »Ich habe mich heute Abend so gut amüsiert wie schon seit langem nicht mehr.«
»Das war nicht zu übersehen.« Wilhelmine fächerte sich hektisch Luft zu, ihr Ärger war offensichtlich.
»Mir
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