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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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»Alte Schabracke werde ich sie in Zukunft sicher nicht mehr nennen.«
    Mit ausgebreiteten Armen begrüßte nun Horst von Wallerstein die neu Angekommene. »Elvira, du siehst fabelhaft aus. Manfred wäre ja so stolz auf dich.« Er küsste ihr beide Hände. »Was für eine Freude, dich heute als meine Tischdame zu haben«, und in ihr Ohr flüsternd, »ich habe um dich gebeten. Wilhelmine hatte mir doch tatsächlich die alte Heller zugedacht!« In komischer Verzweiflung schlug er die Augen gen Himmel.
    Wilhelmine war jetzt zu ihnen getreten, und ein erbarmungsloser Lorgnettenblick traf ihre Freundin. »Na, du siehst ja aus!«, zischte sie. »Manfred wird sich im Grab umdrehen.«
    »Vor Freude, meine Liebe, vor Freude«, beschwichtigte ihr Mann. »Hört ihr, Kurt hat den Gong geschlagen. Gott sei Dank, ich habe nämlich einen Bärenhunger.« Er bot Elvira galant den Arm. »Darf ich dich zu Tisch führen?«
    Das Diner war vorzüglich. Die Küche auf Schloss Wallerstein galt als exzellent, man wusste das, und jedem Gang wurde kräftig zugesprochen. Die Damen tranken ausschließlich Champagner, während die Herren edle Weine bevorzugten. Man lachte, flirtete und scherzte, und je weiter der Abend fortschritt, umso lebhafter wurde die Unterhaltung. Das Stimmengewirr glich einem Bienenschwarm.
    »Ich bin ja so froh, dass Papa die heutige Einladung angenommen hat«, gestand Eberhard seiner Tischdame Aglaia. »Es ist das erste Mal seit Mamas Tod.« Er deutete zu Elvira von Welsen hinüber, die in dem Moment laut auflachte, wohl über einen Scherz, den Jesko von Kaulitz ihr gerade ins Ohr geflüstert hatte. »Sie hat Papa regelrecht überredet zu kommen. Was für eine Tragödie, hätte er erneut abgesagt.« Er unterstrich seine Worte mit scherzhaft dramatischer Geste. »Dann wäre ich dir womöglich erst wieder begegnet, wenn du verheiratet und Mutter vieler Kinder wärest.« Er sah sie fragend an. »Du bist doch hoffentlich noch nicht vergeben?«
    »Nein«, Aglaia musste lachen. »Weder verlobt noch verheiratet. Und wie ist es mit dir?«
    »Noch habe ich die Richtige nicht gefunden. Ich werde meine Braut danach auswählen, wie gut sie Polka tanzt.« Er blickte sie verschmitzt an. »Würdest du mir bitte alle Polkas auf deiner Tanzkarte reservieren … oder nein, lieber die ersten zehn Tänze? Einen Walzer möchte ich auch probieren.«
    »Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?« Aglaia schlug ihm leicht mit ihrem Fächer auf die Hand. »Ich habe hier einige sehr ernsthafte Verehrer, die kann ich unmöglich enttäuschen.« Sie zeigte hinüber zu den Goelderbrüdern. »Zum Beispiel Gustav und Mathias. Sie machen mir beide ordentlich den Hof.« Die Zwillingsbrüder, blendend aussehende Junggesellen, waren gleich groß und sahen sich bis auf die unterschiedlichen Haarfarben sehr ähnlich. Gustavs dunkles Haar war mit Pomade nach hinten gekämmt, während Mathias eine feuerrote Mähne trug. Sie waren im ganzen Landkreis berüchtigte Herzensbrecher.
    »Fabelhaft«, neckte Eberhard sie, »beide eine hervorragende Partie. Wie ich hörte, hat Gustav gerade von seinem Vater Weischkehmen überschrieben bekommen und Mathias das herrliche, gleich daran angrenzende Ashruten.« Er lachte. »Und was ist mit Leopold, merkst du nicht, dass er dauernd zu uns herüberschielt?«
    »Um Himmels willen!« Aglaia hob abwehrend die Hände. »Er ist zwar ein sehr schöner Mann, aber was man da so hört … wilde Feste auf Schloss Troyenfeld – nein, das ist nun wirklich kein Mann für mich.« Um der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben, sagte sie nun: »Jetzt schau dir bloß Tante Elvira an. Unsere beiden Väter scheinen sie ja bestens zu unterhalten.« Mal neigte Elvira sich dem einen zu, lachte und flirtete, dann ließ sie sich von dem anderen die Hand küssen.
    »Ja, ich habe meinen Vater lange nicht mehr so ausgelassen gesehen. Schon nach ihrem Besuch kürzlich auf Birkenau war er wie verwandelt. Ihre fröhliche Art tut ihm gut.«
    Inzwischen war das Dessert abgetragen, und Wilhelmine hob die Tafel auf. Die großen Flügeltüren zum nebenan liegenden Saal öffneten sich, und das Orchester ließ die »Aufforderung zum Tanz« ertönen. Gleich darauf begannen sie mit einer Polka.
    »Nun, dann wollen wir mal mit dem Test beginnen«, rief Eberhard und wirbelte mit Aglaia über das Parkett.
    Nachdem die älteren Herren mehr oder weniger fest auf den Beinen – einige hatten den schweren Weinen etwas zu sehr zugesprochen – ihren Pflichttanz

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