Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
scheint, du bist ein bisschen eifersüchtig, meine Liebe«, stichelte Elvira gutmütig. Glücklicherweise tanzten in diesem Augenblick Tanya und Egbert an ihnen vorbei und enthoben Wilhelmine einer Antwort.
»Was für ein entzückendes Paar«, rief die Baronin von Eyersfeld, die dem Geplänkel der beiden Freundinnen amüsiert gelauscht hatte. Sie strahlte eine liebenswürdige Überheblichkeit aus. Auch sie war eine Frau Mitte vierzig, nicht übermäßig hübsch, aber groß, schlank und durch ihren extravaganten Geschmack sehr attraktiv. Sie war ganz und gar Elviras Meinung. Wenn ihr Fritz – schließlich war auch er schon in den Sechzigern – das Zeitliche segnen würde, hatte auch sie nicht die Absicht, für den Rest ihres Lebens die trauernde Witwe zu spielen.
»Hat er sich denn schon erklärt, der junge Egbert von Schlieren?«, ließ sich jetzt die Frau Kommerzienrat Heller vernehmen. »Sie erwähnten doch kürzlich, liebe Gräfin …«
»Leider noch nicht«, fiel ihr Wilhelmine ins Wort. »Aber ich hoffe doch, dass der junge Mann morgen dazu die Gelegenheit findet.« Ein Lakai reichte ein Tablett mit kleinen Kuchen herum. Elvira und die Baronin lehnten dankend ab, während Wilhelmine sich einen ganzen Teller volllud.
»Die Hälfte täte es auch«, flüsterte Elvira ihr zu, was ihr erneut einen giftigen Blick ihrer Freundin eintrug.
»Wie gesagt«, fuhr Wilhelmine fort, das junge Paar mit ihrem Lorgnon verfolgend, »ich hoffe doch, dass er morgen bei Horst um ihre Hand anhält.«
Elvira sagte nichts dazu. Als sie eben draußen ihre Nase puderte, hatte Tanya ihr erzählt, dass Egbert schon morgen früh in Königsberg in seiner Garnison zurückerwartet wurde. »Es ist Wintermanöver. Aber sag nichts zu Tante Wilhelmine«, hatte Tanya sie beschworen. »Bitte, Tante Elvira, versprich es mir.« Er hatte also offensichtlich nicht die Absicht, sich in absehbarer Zeit zu erklären. Sie spürte unendliches Mitleid mit dem armen Mädchen, wusste sie doch alles über ihre Herkunft und Wilhelmines daraus resultierende Abneigung gegen sie.
»Nun sieh doch bloß, Wilhelmine. Aglaia und Eberhard scheinen sich ja blendend zu verstehen«, rief sie, um von Tanya und Egbert abzulenken.
»Ja, sie tanzen schon die siebente Polka zusammen«, ließ sich die Kommerzienrätin vernehmen.
»Donnerwetter, Sie passen aber gut auf«, spottete Elvira. Offensichtlich beschäftigte sie sich mit Zählen, wenn sie mal nicht strickte. Sie und die Baronin begannen ein Gespräch über Mode, als sich Graf Kaulitz den Damen näherte.
»Cousinchen, darf ich um den nächsten Tanz bitten?«, rief er.
»Aber mit dem größten Vergnügen!« Sie sprang auf und beide schwebten bei einem Wiener Walzer davon.
Am nächsten Morgen waren die Jagdgäste noch vor Tagesanbruch mit lautem Getöse und begeisterten »Weidmannsheil!«-Rufen aufgebrochen. Aglaia dagegen schlief noch tief, als es sachte an ihre Tür klopfte. »Darf ich reinkommen?«, flüsterte Tanyas Stimme.
Schlaftrunken richtete Aglaia sich auf. »Wieso bist du schon wach?« Ihr war, als wäre sie gerade erst eingeschlafen.
»Egbert ist eben aufgebrochen. Ich kann jetzt einfach nicht allein sein.«
Mit einem Schlag war Aglaia hellwach. »Woher weißt du das? Du hast ihn doch nicht etwa …?« Entsetzt sah sie ihre Cousine an.
»Doch«, sagte die. »Er war die ganze Nacht bei mir.«
Aglaia war wie gelähmt. Wie konnte Tanya nur! Ihre Gedanken überstürzten sich. Wenn Egbert nun von jemandem gesehen worden war und ihre Mutter davon erfuhr! Nicht auszudenken, was dann passieren würde. Allein diese Vorstellung ließ Aglaia erzittern. Die schrecklichsten Szenen malte sie sich aus. Das leise Klappern von Tanyas Zähnen holte sie aus ihrer Erstarrung. »Mein Gott, du Arme«, flüsterte sie, »du schlotterst ja vor Kälte.« Sie hob die Bettdecke. »Komm, schlüpf rein, du holst dir sonst noch den Tod.« Die Mädchen schwiegen eine Weile. Jede hing ihren Gedanken nach. Aglaia sprach als Erste. »Tanyachen, wie konntest du nur! Hättet ihr nicht warten können, bis ihr verlobt seid?« In ihrer Stimme lag leiser Vorwurf.
»Wir haben uns heute Nacht heimlich verlobt«, flüsterte Tanya aufgeregt. »Wenn Egbert aus dem Manöver zurück ist, will er mit Onkel Horst sprechen. Ganz fest hat er mir das versprochen.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Aglaia empört. »Warum hat er nicht schon gestern mit Papa gesprochen, warum noch warten, wenn er sich so sicher ist?« Sie war wütend auf Egbert,
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