Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Sobald es so weit ist, lässt er es uns wissen.«
»Ist er denn eigentlich inzwischen verheiratet?«, fragte Ursula. Aglaia schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Jedenfalls erwähnte er bisher nichts dergleichen.«
Die Herbstmanöver waren vorüber. Meinhard war erwartungsgemäß zum Leutnant befördert worden und Ellart zum Fähnrich.
»Findest du nicht auch, Ellart«, sagte Meinhard, nachdem sie ihre neuen Uniformen abgeholt hatten, »dass das gebührend gefeiert werden sollte?«
Ellart überlegte einen Moment. Er hatte keinen Groschen mehr und den festen Vorsatz, vor Weihnachten keine neuen Schulden mehr zu machen. ›Was soll’s‹, dachte er und sagte laut: »Bin ganz deiner Meinung. Was schlägst du vor?«
Sie beschlossen, ihr letztes freies Wochenende vor dem Heimaturlaub in Berlin zu verbringen. »Ich habe übrigens Christine ins Diener’s zum Souper eingeladen«, verkündete Meinhard ein paar Tage später. »Und sie gebeten, Amalie mitzubringen.« Er sah seinen Freund von der Seite an. »Ich nehme an, es ist dir recht.«
»Ja, ja … natürlich.« Ellarts Gesicht zeigte keinerlei Regung, aber sein Herz klopfte so laut, dass er befürchtete, man könnte es hören. »Und haben sie zugesagt?«
»Ja, mit dem größten Vergnügen. Wir treffen sie zum Jour Fixe bei den Stumms und gehen anschließend ins Diener’s. Als Anstandswauwau müssen wir allerdings Christines älteren Bruder ertragen. Ach, und noch etwas, vergiss nicht, der Zielke Bescheid zu geben, dass sie die Wohnung einheizt. Das Barometer fällt. Es könnte am Wochenende Schnee geben, und ich habe keine Lust, mir nachts den Hintern abzufrieren.«
Es war ein milder Samstag im Oktober. Noch war nichts zu spüren von einem Wetterumschwung. Meinhard und Ellart legten zur Feier des Tages ihre neuen Uniformen an. Als sie den Salon der Stumms betraten, empfing sie lautes Stimmengewirr.
Frau Stumm, eine elegante Dame Ende vierzig, begrüßte sie als Erste. »Herzlich willkommen, meine Herren, und Glückwunsch zur Beförderung.« Sie winkte einem Diener, der ihnen auf einem silbernen Tablett eisgekühlten Champagner servierte. »Darauf sollten wir anstoßen! Übrigens haben wir auch etwas zu feiern. Unser Sohn Winfried hat letzte Woche sein juristisches Staatsexamen mit summa cum laude bestanden. Ich glaube, Sie kennen ihn noch gar nicht.« Sie deutete in Richtung des Fensters. »Dort steht er mit Christine und Amalie. Er wird sie heute Abend begleiten.« Sie sah zur Tür. »Ah, da kommen neue Gäste. Sie entschuldigen mich, meine Herren …«
Christine winkte ihnen bereits zu, und so gingen sie, nach rechts und links grüßend, langsam auf die kleine Gruppe zu. »Meinhard, Ellart, darf ich euch meinen Bruder vorstellen? Frischgebackener Doktor der Jurisprudenz und unser Anstandswauwau für heute Abend.«
Winfried Stumm, ein großer sympathischer Mann Mitte zwanzig, lachte laut auf. »Nun verschreck die jungen Offiziere doch nicht so. Ich werde jedenfalls Mama fragen, wann ihr im Bettchen sein müsst.« Er zwinkerte seiner Schwester zu. »Und pass nur auf, ich nehme meine Aufgabe sehr ernst.«
Ellarts Herz klopfte wieder wie wild, als er Amalie die Hand küsste. »Sie sehen bezaubernd aus, Fräulein Amalie … Ich darf sie doch so nennen?« Der Name Trautschke wollte ihm einfach nicht über die Lippen.
»Natürlich … gern.« Sie öffnete kurz ihren Fächer, schloss ihn aber gleich wieder. »Ich bin entzückt, dass sie unserer Einladung folgen konnten. Es ist das erste Mal, dass ich allein ausgehe … ich meine am Abend.« Sie senkte ihren Blick. »Mein Vater ist da sehr streng.«
»Er wird es schon nicht erfahren«, mischte sich Christine jetzt ein. »Wie sollte er auch. Schließlich übernachtest du ja bei mir.«
»Und ich passe auf euch auf wie ein Schießhund«, rief Winfried. »Aber jetzt muss ich mich noch um unsere anderen Gäste kümmern. Meine Herren, die Damen, dann also bis später.«
Eine Droschke brachte sie zum Restaurant. Zu ihrer Überraschung bat Winfried den Kutscher, einen Moment zu warten. »Ich will euch den Abend nicht mit meiner Anwesenheit verderben«, sagte er mit einem frechen Grinsen. »Ich habe euch sicher hierhergebracht, und für den Rücktransport haben die Herren Offiziere zu sorgen. Aber nur unter einer Bedingung – dass Ihr mich nicht verratet. Und meine Herren, machen Sie mir keine Schande.«
»Ehrensache!«, rief Meinhard. Aber da war Winfried schon in der Droschke verschwunden.
Der Oberkellner
Weitere Kostenlose Bücher